: Als Werbegag „meilenweit für Perestroika“
„Camel“ hat ein Schnäppchen gemacht: Abenteuertour 1990 bei Gorbatschow / Autorennen durch die Taiga als „Meilenstein“ der Ost-West-Aktivitäten / Sowjetische Partner loben die knatternde Werbetour als Veranstaltung des Friedens und der Freundschaft ■ Von Vera Gaserow
Berlin (taz) - Seit zehn Tagen hängen die großformatigen Plakate an ausgesuchten Stellwänden, ab 1.September soll es mit der Werbetour erst so richtig losgehen, „und schon jetzt“, so vermeldet die Sprecherin des Nikotin-Multis Reynolds, „ist die Resonanz außerordentlich groß“. Nicht „meilenweit für eine Camel“, sondern „1000 Meilen Perestroika“ heißt die Parole, mit der der Tabakkonzern jetzt für seine Zigaretten wirbt. Gorbatschow läßt grüßen, und der US-Konzern antwortet: 1990 wird die „Camel-Trophy“ seit zehn Jahren werbewirksamer Abenteuertrip für hartgesottene Kerle - in der Sowjetunion stattfinden, genauer gesagt in der sibirischen Taiga.
Angeführt von einem Troß von Begleitfahrzeugen, Kamerateams, Ärzten und Journalisten, werden 18, eigens in Trainingscamps gedrillte Teams aus aller Männer Länder im Juni 1990 mit ihren Landrovern durch die Taiga rasen. 1.000 Meilen weit geht es durch die „dichten Wälder, Moore und Gebirge“, die „unglaublich schöne Landschaft“, die einen „unvergeßlichen Eindruck“ hinterläßt (O-Ton Camel), bis an den Baikalsee.
Die bisher größte Tour dieses „letzten großen Abenteuers“ sei der Trip durch Sibirien, jubelt der Glimmstengelkonzern, „eine sensationelle Veranstaltung“, das erste internationale Motorsportereignis in der Sowjetunion“, „ein unmißverständliches Symbol für die die Politik der Sowjetunion und ein Meilenstein in den Aktivitäten zwischen Ost und West“.
Mit Politik habe das aber nichts zu tun, schränkt dagegen die bundesdeutsche Camel-Filiale ein, von der die Initiative zu der Perestroikatour ausging. Die Idee sei eher aus „dem aktuellen Zeitgeist heraus geboren“. Die Kontakte zu den sowjetischen Partnern, die „mit unermüdlichem Enthusiasmus“ bei der Vorbereitung halfen, seien „sehr reibungslos“ gelaufen.
Daß eine Abenteuertour ausgerechnet in Michail Gorbatschows Reich für den Zigarettenkonzern als Werbeschnäppchen gilt, ist offenkundig. Was dagegen die Verantwortlichen im sibirischen Irkutsk dazu bewogen hat, sich nach Sumatra, Madagaskar und Sulawesi für diesen Motor-Klamauk zur Verfügung zu stellen, klingt eher rührend naiv. „Als erste große Veranstaltung dieser Art in unserer Region wird die 'Trophy‘ die Freundschaft zwischen Menschen verschiedener Nationalitäten, Frieden, gegenseitiges Verständnis und direkte Kontakte fördern“, lobt der Vizepräsident des Regionalparlaments von Irkutsk, Valery Ignatov, das Motorrennen durch die unberührtesten Gegenden der Sowjetunion, in der UmweltschützerInnen seit einigen Jahren verzweifelt gegen ein weiteres Vordringen der Industrie kämpfen.
Alles in ihrer Macht stehende würden die sowjetischen Partner tun, „um diesem Ereignis zum Erfolg zu verhelfen“, versichert Valery Ignatov, denn die Tour werde „die Aufmerksamkeit der Welt auf gemeinsame Werte und Probleme aller Menschen richten, besonders auf den Umweltschutz und die Erhaltung so außergewöhnlich schöner Landschaften wie den Baikalsee“.
Nein, kein einziger harter Dollar sei im Gegenzug für diesen Klamauk an die sowjetischen Stellen geflossen, versichert man im Camel-Headquarter. „Selbstverständlich haben wir nichts dafür bezahlt.“ Immerhin dürften dieses Jahr auch erstmals sowjetische Bewerber an der „Trophy“ teilnehmen. Wie die allerdings gefunden werden sollen, weiß man noch nicht, denn Werbeplakate dafür gibt es weder in Moskau noch am Baikalsee. Noch nämlich ist die Sowjetunion eines der wenigen Länder, wo die Menschen tatsächlich meilenweit laufen könnten, ohne auf eine einzige Camel zu stoßen - es gibt sie einfach nicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen