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Den Revolver wie ein Profi benutzt

Im Gladbecker Geiselnehmerprozeß bekommt das Gemälde der Verteidigung zusehends Risse / Gangster waren entschlossen, den Coup zu ihren Bedingungen zu Ende zu bringen / Geisel Reinhold Alles sagt aus / Geiselnehmer: „Mir ist schlecht von dem Gelabere hier“  ■  Aus Essen Walter Jakobs

Irgendwann einmal, es geht im Prozeß gegen das Gladbecker Geiselgangstertrio gerade um einen der zahlreichen Raubüberfälle, fragt ein Anwalt der Nebenkläger, ob Rösner mit seiner Pistole den Überfallenen bedroht habe. Der zögert. Dann, als der Anwalt insistiert, kommt es aus ihm in einem Tonfall heraus, der signalisiert, daß er an dem Verstand des Fragestellers zweifelt: „Ja, dat ist doch bei einem Raubüberfall so. Ich kann doch nicht die Nachttischlampe bedrohen. Soll ich vielleicht auf die Knie fallen?“ Daß Menschen wie er auf diese Art nicht an das Geld anderer Leute kommen, weiß Rösner, der im Sommer 86 einen Hafturlaub zur Flucht genutzt hat.

Rösners kriminelle Vergangenheit

Mit 14 Jahren verübte er den ersten Einbruch. Von den nächsten 17 Jahren verbrachte er elf im Knast. Zu diesem Mann gehörte der Revolver wie der Schraubenschlüssel zum Schlosser. Und wie einen Schraubenschlüssel setzte er ihn auch ein: als Werkzeug, um an Geld zu kommen. In der Zeit vom 24.August 86 bis zur Gladbecker Geiselnahme am 16.August 1988 gingen etwa 40 bewaffnete Raubüberfalle und Einbrüche auf sein Konto. Er war ein Profi. Um an die Beute zu kommen, hatte die Drohung mit der Waffe bis zu seinem letzten Coup immer ausgereicht.

Am 16.Dezember 88, dem Tag der Geiselnahme, sollte es ähnlich laufen. Das jedenfalls sagen die Angeklagten und ihre Verteidiger.

Für Rolf Bossi, den Anwalt von Dieter Degowski, ist klar, daß erst die Polizei „eine Situation heraufbeschworen hat“, in „der die Täter in einer Ausnahmesituation die Kontrolle verloren“ hätten. „Zumindestens bei der Strafzumessung“ komme diesem Umstand „wesentliche Bedeutung zu“.

Geisel schildert Ablauf

des Banküberfalls

Am Dienstag, dem achten Verhandlungstag, geht es im Essener Landgericht um die Frage, wie es zur Eskalation kommen konnte. „Sie haben gesagt, sie wollten nur das Geld.“ So gibt Reinhold Alles, der Bankangestellte, der als erster in die Gewalt von Rösner und Degowski geriet, die ersten Worte der beiden Bankräuber wieder.

Im vollbesetzten Gerichtssaal sind alle Geräusche verstummt, als Reinhold Alles fortfährt: Das Geld kann er nicht rausrücken, weil ein anderer Angestellter den zweiten Tresorschlüssel hat. Doch dieser Mann kommt nicht. Statt dessen entdecken die Gangster durch ein Fenster einen Polizeiwagen. Ein schlichter Banküberfall ist nun nicht mehr möglich. Wenig später trifft die Angestellte Andrea Blecker ein, die Degowski nach Darstellung von Alles „brutal“ zu Boden wirft. Mit den Worten „Wenn die Bullen die Bank stürmen, seid ihr auch mit dran“ werden die verängstigten Angestellten eingeschüchtert. Rösner unterstreicht seine Entschlossenheit: „Bevor ich noch mal in den Knast gehe, bringe ich mich eher selber um.“ Seinem Kumpanen Degowski, der immer nervöser wird, gibt er für den Fall, daß alles schiefgehen sollte, den Rat, die Pistole sich selbst in den Mund zu halten und abzudrücken. Spätestens jetzt, so Alles, habe er gemerkt, daß das „keine normalen Bankräuber waren, denn die wollten sich ja selbst umbringen“. Nachdem ein 'Bild'-Reporter in der Bank angerufen hatte, kommen die Gangster nach Beratung auch mit den Geiseln auf die Idee, die Presse zu verständigen. Sie hoffen, daß die Polizei unter den Augen der Presse „keinen unüberlegten Angriff auf die Bank macht“. Die telefonischen Verhandlungen mit der Polizei schleppen sich hin. „Die meinten, daß sie von der Polizei nicht ernst genommen würden“, sagt Alles. Mehrmals schießen die beiden nach draußen. Während Alles bei seiner polizeilichen Vernehmung von „gezielten Schüssen“ auf Polizeibeamte gesprochen hatte - die beiden Angeklagten sollen sich gegenseitig zugerufen haben „Knall das Schwein ab“ -, kann er sich vor Gericht nur daran erinnern, daß von „abknipsen“ die Rede gewesen sei.

Kumpan Degowski kein fehlgeleitetes Schaf

Irgendwann, weil von seiten der Polizei nichts passierte, hätten Rösner und Degowski besprochen, die Drohung durch Schüsse in die Beine der Geiseln zu unterstreichen. Dazu kam es nicht. Statt dessen trafen die geforderten 300.000 Mark und das Fluchtauto ein. Wie ernst die beiden Gangster ihre Drohungen meinten, zeigte die Ermordung des italienische Jungen Emanuele de Giorgi in Bremen. Rösners spontaner Ausspruch vor Gericht - „Wenn wir sagen, die Polizei hat zu verschwinden, dann hat sie zu verschwinden, so sehe ich das jedenfalls“ - unterstreicht, wie ernst es dem Mann war. An Aufgeben, das hatte schon die Geisel Alles gleich zu Beginn zutreffend erahnt, haben die beiden Angeklagten nie mehr gedacht.

Das Bild, das die Verteidigung von ihren Mandanten zu malen pflegt, bekommt mit jedem Prozeßtag mehr Risse. Sie sind nicht in etwas hineingeschlittert, sondern waren entschlossen, den Coup auf ihre Art und Weise zu Ende zu bringen. Während die Angeklagten davon sprechen, die Geiselnahme nicht geplant zu haben, hört sich das auf den im Saal abgespielten Polizeibändern anders an. Dort sagt Rösner das Gegenteil, verweist auf die mitgebrachten Vorräte und Medikamente. Das Abspielen der Bänder brachte auch etwas anderes an den Tag. Dieter Degowski ist nicht das von Rösner fehlgeleitete Schaf, er spielte selbst einen äußerst selbständigen Part. Viele der wüsten, haßerfüllten telefonischen Drohungen sind in den Protokollen fälschlicherweise Rösner zugeordnet worden. Degowski lediglich als Opfer und Werkzeug seines Komplizen - diese Darstellung hatte Rösner auf den vorangegangenen Prozeßtagen kommentiert: „Mir ist schlecht von dem dummen Gelabere hier.“

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