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Zahl der DDR-Flüchtlinge steigt weiter

■ 1.800 in ungarischen Malteser-Lagern / Kritik in der ungarischen Öffentlichkeit an staatlichen Maßnahmen gegen Flüchtlinge aus der DDR / Berliner SPD-Politiker fordert Anerkennung der DDR-Staatsbürgerschaft

Budapest/Berlin (dpa) - Die Zahl der DDR-Flüchtlinge in Ungarn wächst von Tag zu Tag. Bis zum Montag abend wurden in Unterkünften des ungarischen Malteser Caritas Dienstes in Budapest rund 1.800 Flüchtlinge registriert. Wenn dieser Trend weiter anhält und bis zum Wochenende etwa 2.000 DDR -Bürger zu betreuen sind, dann ist für die 40 Malteser die Grenze erreicht, bis zu der sie „verantwortungsvoll“ für die Flüchtlinge sorgen können, betonten die Malteser am Dienstag. Die Fluktuation halte zwar an, jedoch verließen immer weniger Menschen die Unterkünfte; die Zahl der Neuankömmlinge nehme täglich zu.

In der Nacht zum Dienstag flüchteten erneut rund 200 Menschen, darunter einige Rumänen und Tschechoslowaken, über Ungarn nach Österreich. Am Montag hatte die deutsche Botschaft in Wien 319 DDR-Flüchtlinge gezählt. Am Dienstag vormittag hatten sich bei der Vertretung bereits 60 DDR -Bürger gemeldet. Indessen gelang zwei 19 und 20 Jahre alten Handwerkern die Flucht über die innerdeutsche Grenze von Thüringen nach Bayern.

Die Malteser in Budapest rechnen damit, daß diese Woche wegen des Schulbeginns in der DDR am 1. September entscheidend sein wird. Familien mit schulpflichtigen Kindern müssen beschließen, ob sie heimkehren oder von Ungarn aus die Flucht wagen wollen.

Die Verschärfung der Grenzkontrollen hat in der ungarischen Öffentlichkeit heftige Reaktionen ausgelöst. Einige halten es für diskriminierend, daß DDR-Bürger weiträumig vor der Grenze abgefangen werden. Außenminister Gyula Horn erklärte, daß die Gefahr bestehe, Ungarn könnte von seinen kommunistischen Nachbarn isoliert werden. Wie die ungarische Nachrichtenagentur 'mti‘ berichtete, verwies Horn darauf, daß die Entwicklung in Ungarn „unsere Nachbarstaaten irritiert“. Dies könne Ungarn aber nicht von seinem Weg abbringen. Die ungarische Führung habe nicht die Absicht, die Beziehungen zu den Verbündeten zu verschlechtern, erwarte von ihnen aber „einen Grad von Toleranz“.

Der Berliner SPD-Politiker Erhart Körting verlangte indessen, die Auswanderungswelle aus der DDR müsse „gestoppt werden“. Er forderte die „Anerkennung der Staatsangehörigkeit der DDR mit allen Konsequenzen“, weil dies allein Demokratisierung und Liberalisierung für 16 Millionen DDR-Bürger bedeute. Körting forderte seine Partei zu einer neuen illusionslosen Deutschlandpolitik auf. Auf die DDR-Führung dürfe keine falsche Rücksicht mehr genommen werden. Besuche bei SED-Generalsekretär Erich Honecker seien „Reisen in die Vergangenheit“. Die SPD habe den Nachholbedarf innerstaatlicher Demokratisierung in der DDR unterbewertet, übte Körting Selbstkritik.

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