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„Politische Alternative für unser Land“

Vorlage zur Bildung einer Initiativgruppe mit dem Ziel, eine sozialdemokratische Partei in der DDR ins Leben zu rufen (in Auszügen)  ■ D O K U M E N T A T I O N

1. In Osteuropa ist einiges in Bewegung geraten, und viele Menschen bei uns empfinden dafür eine große Sympathie. Hoffnungen und Erwartungen beginnen auch in der DDR zu wachsen. Viele Bürger haben an Selbstbewußtsein gewonnen. Dennoch muß man feststellen, daß die Situation immer noch insgesamt von einem lähmenden Ohnmachtsgefühl beherrscht wird. Dies zeigt sich unter anderem darin, daß man zwar Veränderungen wünscht und erhofft, zugleich aber glaubt, selbst nichts tun zu können.

So warten viele darauf, daß die herrschende Partei sich ändert, oder man wartet auf einen Mann wie Gorbatschow. Eine solche Haltung aber bleibt im Passiven und spricht sich letztlich eine Zuständigkeit und Verantwortlichkeit für diese unsere Wirklichkeit ab. Doch auch und gerade wenn die Partei sich verändert, braucht es Bürger, die selbständig ihre Verantwortung für unsere Wirklichkeit erkennen und bereit sind, sie wahrzunehmen.

Die Zeit drängt. Und nicht nur, weil die Ungeduld wächst. Die Zehntausende, die enttäuscht das Land verlassen, können hier nichts mehr tun und verstärken die Resignation der Zurückbleibenden.

Was an natürlichen Lebensbedingungen und Ressourcen aufgebraucht oder zerstört ist, läßt sich nicht ohne weiteres wiederherstellen. Wir leben von der Substanz und damit auf Kosten unserer Kinder. Wir verlieren mehr und mehr den Reichtum unseres geschichtlichen Erbes und damit unsere Identität.

Strukturen organisierter Verantwortungslosigkeit zerstören die moralischen Grundlagen und die Bereitschaft, Risiken für selbstverantwortetes Handeln in Gesellschaft und Staat auf sich zu nehmen.

2. Unsere Gesellschaft wird durch den absoluten Wahrheits und Machtanspruch der SED bestimmt, auf den hin alle Verhältnisse in Staat und Gesellschaft geordnet sind.

Die Kluft zwischen ideologischem Anspruch und Wirklichkeit tritt jedoch immer klarer hervor.

Die notwendige Demokratisierung unseres Landes hat die grundsätzliche Bestreitung eines solchen absoluten Wahrheits - und Machtanspruchs zur Voraussetzung. Dazu gehört eine offene geistige Auseinandersetzung mit den Grundlagen des Stalinismus und seiner Ausprägung in Geschichte und Gegenwart der DDR.

3. Die Demokratisierung unserer Gesellschaft bedarf grundlegender programmatischer Bemühungen und solcher Bürger, die die dafür notwendige Kompetenz mitbringen beziehungsweise gewinnen. Hier ergibt sich ein besonders schwieriges Problem, denn das Ziel jahrzehntelanger Kaderpolitik der SED war es, geistige und politische Kompetenz außerhalb des Personenkreises derer, die zu Loyalitätserklärungen bereit waren, zu verhindern.

Angesichts dieser Lage halten wir folgende Bemühungen für notwendig:

a) Die Erarbeitung einer politischen Alternative für unser Land, die an politische Traditionen anknüpft, die an Demokratie und sozialer Gerechtigkeit orientiert sind. Zu diesen Traditionen gehört an wichtiger Stelle die des Sozialismus. Dieser ist durch die Geschichte der letzten Jahrzehnte weitgehend dikreditiert worden.

Um hier nach neuen Wegen zu suchen, bedarf es der schonungslos kritischen Bestandsaufnahme der geistigen, politischen, wirtschaftlichen und ökologischen Situation unseres Landes.

b) Die Herstellung und Entfaltung einer politischen Öffentlichkeit, in der über geistige, wirtschaftliche, soziale und politische Ziele und Wege in unserem Land gestritten werden kann. Eine wichtige Aufgabe ist es, das Gefühl von Verantwortung und Zuständigkeit der Bürger über die Verhältnisse in unserem Land zu stärken und zu wecken und dazu zu ermuntern, sich Kompetenz zu erwerben, die gesellschaftliche Wirklichkeit aktiv mitzugestalten.

4. Politische Existenz und politisches Handeln bedarf der Gemeinschaft demokratischer Organisationsformen, in denen die Interessen und der politische Wille der in ihr Verbundenen sich entfalten und zur Geltung bringen kann. Dafür gibt es verschiedene Möglichkeiten: Vereine, Bürgerinitiativen, demokratische Bewegungen, Parteien, Gewerkschaften etc. Ohne derartige politische Organisationen ist ein demokratisches Gemeinwesen nicht möglich.

Aufgrund der Tatsache, daß die politischen Parteien und Organisationen in unserem Land diese Aufgabe zu Zeit nicht erfüllen, ist es notwendig, daß es zur Entfaltung dieser Möglichkeiten und zu Neugründungen kommt.

5. Wir, die Unterzeichnenden, halten für den künftigen Weg unserer Gesellschaft die Bildung einer sozialdemokratischen Partei für wichtig.

Wir wissen, daß dies zur Zeit legal nicht möglich ist. Deshalb machen wir den Vorschlag, eine Initiativgruppe zu bilden, die für die Voraussetzungen einer legalen Parteigründung und ihre Vorbereitung arbeitet.

6. Ziel: eine ökologisch orientierte soziale Demokratie.

Das Grundprinzip demokratischer Erneuerung heißt Entmonopolisierung und Demokratisierung der Macht in Staat und Gesellschaft. Das bedeutet nicht die Aufhebung des Staates und seines Gewaltmonopols, sondern demokratische Kontrolle der einzelnen, mit klar begrenzten Kompetenzen ausgestatteten, staatlichen Institutionen.

Aufgabe des Staates ist es,

-die sozialen, kulturellen und politischen Grundrechte der Bürger und die ihnen entsprechende Wahrnahme von Verantwortung zu ermöglichen, zu stärken und zu schützen;

-den Schutz der natürlichen Umwelt und die Sicherung von Ressourcen und Lebensmöglichkeiten für kommende Generationen zu gewährleisten.

Allen Monopolisierungen in Staat und Gesellschaft ist entgegenzutreten, insofern sie die sozialen und politischen Rechte der Bürger beeinträchtigen und verkehren. Für die Wirtschaft bedeutet dies u.a. strikte Antimonopolkontrolle (auch im Hinblick auf den staatlichen Sektor). Unvermeidbare Monopole bedürfen strengster demokratischer Kontrolle und der Überprüfung ökonomischer Effizienz.

7. Stichworte zum Programm

a) Zur Ordnung von Staat und Gesellschaft

-Rechtsstaat und strikte Gewaltenteilung

-parlamentarische Demokratie und Parteienpluralität

-Sozialstaat mit ökologischer Orientierung

-relative Selbständigkeit der Regionen (Länder), Kreise, Städte und Kommunen (finanziell, wirtschaftlich, kulturell)

-soziale Marktwirtschaft mit striktem Monopolverbot zur Verhinderung undemokratischer Konzentration ökonomischer Macht

-Demokratisierung der Struktur des Wirtschaftslebens u.a. durch betriebliche Mitbestimmung

-Förderung von Gemeinwirtschaft und Genossenschaften (mit freiwilliger Zugehörigkeit und gleichberechtigter Privatwirtschaft)

-Freiheit der Gewerkschaften und Streikrecht

-strikte Religions- und Gewissensfreiheit

-Gleichberechtigung und Förderung von Frauen

-Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit für alle demokratischen Organisationen

-freie Presse und Zugang zu den elektronischen Medien für alle demokratischen Organisationen

-Gewährung von Asyl für politische Flüchtlinge

b) Zur Außenpolitik

-Anerkennung der Zweistaatlichkeit Deutschlands als Folge der schuldhaften Vergangenheit. Mögliche Veränderungen im Rahmen einer europäischen Friedensordnung sollen damit nicht ausgeschlossen sein.

-besondere Beziehungen zur Bundesrepublik Deutschland aufgrund der gemeinsamen Nation, Geschichte und der sich daraus ergebenden Verantwortung

-Entmilitarisierung der Gesellschaft und des Gebietes der DDR

-Schaffung einer europäischen Friedensordnung, in der Warschauer Vertrag und Nato überflüssig sind

-erweiterter und gerechter Handel mit am wenigsten entwickelten Ländern, orientiert an deren Bedürfnissen

-Solidarität mit entrechteten und unterdrückten Völkern und nationalen Minderheiten.

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