piwik no script img

Deutscher Gartenzwerg kam aus Anatolien

Aus der Sozialgeschichte eines Kleinods deutscher Vorgärten und Kaminsimse / Nach dem Klassenabstieg ist nun auch seine Existenz als Phallussymbol in Gefahr / Wie so oft droht die Gefahr aus dem Osten  ■  Von Petra Bornhöft

Berlin (taz) - Der westdeutschen Gartenzwerg-Industrie geht es glänzend. Um die zwei Millionen der knorrigen Plastik -Männer produziert sie jährlich - nahezu konkurrenzlos. Versuche, die Gartenzwerge für den afrikanischen Markt schwarz anzupinseln oder ihnen für die Amis einen Cadillac anzumontieren, sind fehlgeschlagen. In dem Glauben, der Gartenzwerg sei so deutsch wie die Kuckucksuhr vom Titisee, beharren die Käuferscharen weltweit auf einem Gartenzwerg „mit typisch deutschem Aussehen“. Forschungen zur Sozialgeschichte des stiefelschwingenden Anglers oder Pfeifenrauchers aus Kunststoff belegen indes: der Typ kommt aus der Türkei, hat als Kulturgut den totalen Klassenabstieg hinter sich. Als wenn das nicht schon genug wäre! Aber jetzt macht ihm die DDR auch noch die Existenz als Phallus-Symbol streitig. Das geht nach Ansicht des Gartenzwerg-Forschers Hans Werner Prahl (44) zu weit.

Der Kieler Soziologe glaubt, die Vorfahren jenes Kleinods internationaler Vorgärten und Kaminsimse im anatolischen Kappadocien aufgespürt zu haben. Im dortigen Kohle- und Erzbergbau beuteten die Türken im Spätmittelalter afrikanische Sklaven aus, vorzugsweise die etwa einen Meter großen, kräftigen Pygmäen. „Die einheimische Bevölkerung versuchte“, erklärt Prahl unter Berufung auf seriöse historische Quellen, „die ihnen fehlenden und daher unheimlichen Kräfte dieser kleinwüchsigen Sklaven festzuhalten“. Sie schlugen die Figur der Pygmäen in Stein.

Es dauerte nicht lange, bis oberitalienische Händler und Seefahrer - vor allem reiche Spitzbuben aus Venedig - die Steinmänner entdeckten, klauten oder kauften und nach Italien schafften. Damit begann der Aufstieg der anatolischen Zwerge: bald wollte jeder Adlige seinen Park mit einer Steinfigur schmücken.

Hinweise auf den ersten deutschen Parkzwerg entdeckten Forscher in Akten niederrheinischer Fürstenhöfe von 1406. Dort hielt der Bursche Jahrhunderte aus. Noch bis ins späte 18. Jahrhundert hinein ergötzte sich der europäische Adel zusätzlich an lebenden „Hofzwergen“: kleinwüchsige Menschen, Liliputaner oder Verkrüppelte dienten als Clowns.

Als die Bourgeoisie dann den Adel verdrängte, räuberte sie auch in dessen Parks rum: Aus dem Hof- und Parkzwerg entstand der Gartenzwerg für Fabrikbesitzer und Handelsherren. Nun in Porzellanmanufakturen produziert, schrumpfte die Figur und wechselte vom Schloßpark in den Garten der Stadtvilla.

Das soziale Ende nahte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts: Kleinbürger und Arbeiter begehrten das Schmuckstück für Hinterhof oder Balkon. Für sie „symbolisierte der Gartenzwerg“, sagt der Kieler Wissenschaftler, „einen Rest an 'Natürlichkeit‘, an Identifikation und Besitz“. Daran hat sich offenbar bis heute nichts geändert: Oder hat schon mal jemand den Gartenzwerg im Arbeitsanzug eines Fließbandarbeiters oder Busschaffners gesichtet? Der neuerliche Klassenwechsel blieb gleichwohl nicht ohne äußerliche Folgen. Den Körper verkürzten die Hersteller ein weiteres Mal. Anstelle von Porzellan, Gips oder Glas verwandten sie immer mehr den billigeren und wetterfesten Kunststoff.

Seit dem Marsch des Gartenzwerges auf kleinbürgerlich -proletarische Fensterbänke behandelt die westliche Bourgeoisie ihn - offiziell - wie den röhrenden Hirsch über der Couch. Beide gelten als spießig, trivial, kitschig. Auch die DDR bekämpfte lange den vermeintlich kleinbürgerlichen Charakter des Gartenzwergs. Der dortige Branchenführer flüchtete mangels Absatz in den Westen. Noch in den siebziger Jahren, von einem BRD-Museum um Exponate für eine Ausstellung gebeten, zierte sich Honecker: Erst müsse die gesellschaftspolitische Relevanz des Gartenzwergs geklärt werden, vorher könnten keine Exponate abgegeben werden. Jener Klärungsprozeß scheint abgeschlossen: Seit 1988 produzieren die VEBs sogar für den Export nach Südafrika, hat Prahl herausgefunden.

Findet er diesen Handel verwerflich, so erst recht das gewagte Design der Ost-Gartenzwerge. Manche tragen Locken und ein rotes Kopftuch. „Äußerst abwegig und ziemlich ahistorisch“, so der Kommentar aus Kiel, hätten sich doch Gartenzwerg-Produzenten ausnahmslos an die historisch nachgewiesene Tradition gehalten: Der Gartenzwerg ist ein Mann, niemals eine Frau.

Mehr noch. „Psychoanalytisch orientierte Gartenzwergforscher schließen zumindest nicht aus, daß es sich um versteinerte Phallussymbole handeln könnte, und führen als Beleg die zumeist rote, stets aufgerichtete und spitz zulaufende Mütze der Gartenzwerge an“, sagt Prahl, nicht ohne Bedauern, daß „diese Theorie von der DDR jetzt untergraben wird“.

Eine Erklärung für den neuerlichen Verkaufsboom der Figuren liefern die „eher ökologisch orientierten Gartenzwerg -Forscher“. Aus Fridolins bevorzugtem Standort im Grünen und seiner Arbeitsausrüstung schließen sie folgendes: „So wie im Mittelalter und in der frühen Neuzeit Zwerge als Fabelwesen des Bergbaus galten, können heutige Gartenzwerge als Symbol besonderer Erdverbundenheit gelten.“ So verstehen sie die Hochkonjunktur der Branche als „neue Hinwendung zur Natur“. Dieses bis in die oberen Klassen verbreitete Phänomen - den Grünen sei's gedankt - in Kombination mit deutscher Jäger und Sammlerleidenschaft (bis zu 5.000 Mark kostet heute ein 150 Jahre alter Gartenzwerg) sowie computergesteuerter Individualisierung in der Produktion könnte den neuen Aufstieg des Afroeurasiers einleiten. Er hat's verdient.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen