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„Tote haben klare Linien“

■ Nach 22 Jahren zwischen Seziertisch und Gerichtssal geht Bremens Gerichtsmediziner Jobst v. Karger

Es gab Texasfleischbällchen und Gambas mit Knoblauch, Banane auf Kokos und trockenen Sekt, Maisfladen und Orangensaft, es gab den Generalstaatsanwalt Janknecht, den Landgerichtspräsidenten Crome, den Polit-Staatsanwalt von Bock und Polach und den Senatsdirektor Dopatka, es gab Reden, viele Blumen und noch mehr Päckchen, deren Proportionen ihren les-oder trinkbaren Inhalt verrieten. Und alles, weil es einen im Bremer öffentlichen Dienst nicht mehr gibt: Dr. Jobst von Karger. Bremens über

lange Jahre einziger Mediziner, der im Dienst der Gerechtigkeit 22 Jahre Wasserleichen sezierte, Schußkanäle vermaß und pathologische Triebtäter begutachtete, gab gestern hochfeierlich die Insignien seiner Dienstwürde zurück: Die Liste der Bereitschaftsärzte, den Euro-Pieper und die Schlüssel zu seinem Dienstzimmer im Hauptgesundheitsamt. Und bekam dafür: Jene Urkunde mit dem ausdrücklichen Dank des Senats, den alle verdienten Pensionäre der Freien Hansestadt Bremen bekommen und die etwas in ihrer Respektablität gelitten hat, seit auch anderer Mann des Gesundheitswesens, Aribert Galla, sie stolz sein eigen nennt.

So einer aber war, wenn man den Reden glauben darf, Jobst von Karger zu allerletzt. Wenn es Leute wie ihn Grenzgänger an den Nachtseiten des Menschlichen, Balancekünstler zwischen Tod und Recht, Schuld und Unschuld schon vor 160 Jahren gegeben hätte - Bremen hätte wahrscheinlich eine Prominemte weniger: Gesche Gottfried, begutachtet von v. Karger, wäre nicht auf dem Schafott gestorben, sondern in einer Heilanstalt.

Die taz sprach mit dem frischgebackenen Pensionär:

taz: Herr Dr. von Karger, was treibt einen Arzt in die Leichenhalle?

Dr. v. Karger: Mein Vater ist schon Jurist gewesen, ich bin also familiär vorbelastet. Zweitens ist die Pathologie das Fach in der Medizin, bei der es klare Erkenntnisse und klare Schlußfolgerungen gibt. Auf dem Sektionstisch komme ich zu einem klaren Befund. Die Toten lehren die Lebenden. Ich kann an den Toten also lernen, wie ich therapeutisch oder auch diagnostisch anders an die Lebenden herangehen kann. Fasziniert hat mich die Gerichtsmedizin aber auch immer, weil es nicht nur Pathologie war, sondern auch der Umgang mit Lebenden, mit Gestrauchelten, mit Außenseitern, bei denen wir doch sehr viel beitragen können, um in der Rechtssprechung Verständnis für diese Menschen zu finden. Das ist für mich immer ein guter Ausgleich gewesen. Bei den Toten hatte ich die klare Linie, bei den Außenseitern fand ich den Weg ins Leben zurück.

Aber die Toten sind logischer als die Lebenden, und Sie lieben

Logik?

Ja, als ich in meinem Psychologiestudium im Fach Philosphie geprüft wurde, habe ich mir die Logik ausgesucht.

In vielen Prozessen kann man den Einfluß des Rechtsmediziners gar nicht hoch genug ansetzen. Haben Sie sich als „Richter in weiß“ gefühlt? Und: Erinnern Sie ein „Urteil“, das Sie heute anders schreiben würden?

Ad hoc kann ich das gar nicht beantworten. Aber ich erinnere mich an keinen Fall, bei dem ich im nachhinein Bauchschmerzen über mein Gutachten bekommen hätte. Dagegen kann ich mich gut an mehrere Fälle erinnern, bei denen das Gericht anders geurteilt hat, als meine Beurteilung das eigentlich nahegelegt hätte. Ich bin also kein Richter im weißen Kittel gewesen, wohl aber ein manchmal unbequemer Sachverständiger. Aber als „bequemer Sachverständiger“ zu gelten, ist ohnehin ein tödliches Urteil. Ich bin

froh, als ein Gutachter gegolten zu haben, der - wie es in Bremer Justizkreisen hieß - „für jede Überraschung gut ist“.

Menschen, die sehr engagiert in ihrem Beruf sind, reden auch am Mittagstisch über ihre beruflichen Probleme. Worüber redet ein Pathologe beim Sonntagsbraten?

Ach, wenn man nachts aus dem Bett geholt wurde, dann redet man auch beim Frühstück darüber. Man denkt als Laie, der Patholge habe es mit Sensationellem zu tun. Es ist zwar keine Routine, aber man muß auch am Seziertisch die nötige Distanz aufbringen. Schlaflose Nächte hat man, wenn man ein Kind auf dem Tisch hatte, aber alles andere kann man versachlichen.

Auch beim Frühstück und auch gegenüber der Ehefrau?

Ach, der Müllwerker muß mit seiner Frau auch am Frühstückstisch reden.

Fragen: Klaus Schloesser

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