Kriegsbeginn: der 1. September 1939 in Bremen

■ Apollo spielte Rühmanns „Urlaub auf Ehrenwort“, die „Bremer Nachrichten“ waren linientreu, Antifaschisten hofften auf Niederlage im Krieg

Der Bremer Heinz Kundel erinnert sich noch an den 1. September 1939: Er arbeitete damals im Konstruktionsbüro der AEG Schiffbau, die ihre Räume im 4. Stockwerk des Bankhauses Schroeder in der Obernstraße gegenüber Karstadt hatte. „Wir mußten alle zusammenkommen und dann hat unser Direktor eine Rede gehalten, zusätzlich zu der Proklamation Hitlers (gemeint ist Hitlers Reichstagsrede am Morgen des 1.September, die vor der versammelten Belegschaft jedes Betriebes im Radio übertragen wurde'd.Red.). Alles war bedrückt, einige faßten sich an den Händen und weinten. Vor allem die, deren Freunde und Bekannte schon eingezogen waren. Man wußte genau, wem man was sagen konnte, und man stellte sich gleich so hin, daß nicht der nächste Nazi gleich mithören konnte.“

Systematisch war die Bevölkerung auf den Krieg vorbereitet worden. Drei Tage vor dem 1. September wurden für die wichtigsten Grundnahrungsmittel Lebensmittelkarten eingeführt, an die sich die Bremer ohne größere Schwierigkeiten gewöhtnen: Fleisch, Zucker, Kaffee, Milch, Öle und Fette wurden bezugsscheinpflichtig. Die Portionierung war Anfang September noch ausreichend, lediglich Hausbrandkohle wurde im Winter 39/40 schon knapp. Brot war weiterhin frei verkäuflich, Kartoffeln auch, aber es gab bereits festgelegte Höchstpreise, die eine schleichende Inflationierung verhindern sollten.

Die „Weser-Zeitung“, eine Wochenausgabe der „Bremer Nachrichten“ für Übersee, fragte eine ungenannte Bremerin nach ihren Erfahrungen mit der Zuweisungskarte und ließ sie antworten: „Ich bin froh über die Lebensmittelkarte. denn ich hatte mir schon den Kopf zerbrochen, ob mir nicht so mancher Einkauf weggeschnappt würde, während ich meinen Mann im Geschäft vertrete. So ist mir ein Anteil sicher. Ich sag immer wieder: Unser Führer wird schon wissen...“

Der 1.September 1939 war ein Freitag. Seit Wochen hatte die gleichgeschaltete Presse gegen Polen gehetzt: Von „polnischer

Aufrüstung“ und „frechen Grenzprovokationen“ logen die Nazi -Blätter. Als in den Morgenstunden des 1. September die deutsche Wehrmacht Polen überfallen hatte, lasen die BremerInnen gerade von einem angeblich polnischen Überfall auf die kleine Sendestation Gleiwitz in der Nähe der deutsch -polnischen Grenze: Die Nazis hatten diesen Überfall inszeniert, um für ihren Einmarsch einen propagandistischen Aufhänger zu haben.

Gejubelt hat niemand...

Wer ein Radio besaß, hatte schon in den 7-Uhr-Nachrichten erfahren, daß die deutsche Wehrmacht in Polen einmarschiert war. Die meisten erfuhren davon erst an ihrem Arbeitsplatz. Luise Kundel arbeitete an diesem Tag in der Buchhaltung von Karstadt. „Nein, da hat es niemanden gegeben, der gejubelt hat“, erinnert sie sich 50 Jahre danach an diesen Freitagmorgen. „Auch unser Personalchef hat eine Rede gehalten. Der war selbst im 1.Weltkrieg und ist mit entstelltem Gesicht und einem invaliden Arm

zurückgekommen. Was sollte der schon sagen, wir wußten doch alle Bescheid, die den ersten Krieg erlebt hatten.“

Die Erinnerung an den 1. Weltkrieg prägt die Stimmung in der Bremer Bevölkerung. Bis auf die jüngste Generation kannten alle noch die persönlichen Leiden und Entbehrungen, und obwohl an einigen öffentlichen und privaten Häusern Hakenkreuzfahnen wehten, wirkte das Stadtbild Bremens an diesem Tag auffällig ruhig. Nirgendwo euphorisierte Menschen, und am Bahnhof, wo Bre

merInnen von ihren eingezogenen Angehörigen Abschied nahmen, herrschte bedrücktes Schweigen.

Vom 1.September an werden auch in Bremen junge Männer eingezogen, die Stadt übt den Kriegs-Alltag. Auf Anordnung des Polizeipräsidenten finden erste Luftschutzübungen statt, abends und in der Nacht müssen die Fenster verdunkelt werden. Geschäftsleute werben bereits in Kleinanzeigen mit „Verdunke- lungspapier“ und „Selbstschutzgeräten“. Die Bremer Kinos spie

len zunächst nur noch eine Abendvorstellung: Hans Moser und Heinz Rühmann sollen über die gedrückte Stimmung hinweghelfen, für die Haudegen unter den Bremern läuft im Apollo-Theater der UFA-Film „Urlaub auf Ehrenwort“, eine Heldengeschichte aus dem 1.Weltkrieg. Abends ist Bremen wie ausgestorben: Wegen der Verdunkelung gibt es nachts keine Straßenbeleuchtung mehr.

Denuntiationen und Verhaftungen steigen seit Kriegsbeginn sprunghaft an. Ungefähr 30 Nazi

gegner werden in den ersten Tagen verhaftet und ins KZ Sachsenhausen eingeliefert. Die Sondergerichte der Nazis haben Hochkonjunktur: Verstöße gegen das „Heimtückegesetz“, Anzeigen wegen Beamtenbeleidigung und Treibstoffmißbrauch steigen drastisch an.

Nur ein Krieg kann

Hitler entmachten

Die Nazi-Presse will nichts wissen von der Angst in der Bevölkerung. „Wo man auch hinsieht, überall wird den nun notwendig gewordenen Anordnungen mit Ruhe und Besonnenheit Folge geleistet... “ biegt die nationalsozialistische Bremer Zeitung vom 2.9.39 die Stimmung zurecht. Auf der gleichen Seite warnen die Nazis schon vor „Gift aus dem Äther“, dem Abhören ausländischer Sender. Das führe zur „seelischen Schwächung der Heimatfront“ und ist natürlich strengstens verboten. Auch die „Bremer Nachrichten“ berichten natürlich im Sinne der Nazis - , die Bremer wären „erfüllt vom Ernst der Stunde, seitdem die deutsche Wehrmacht aufbrach, um an der Ostgrenze des Reiches endlich und endgültig Ordnung zu schaffen“ (3.9.1939).

Die Bremer AntifaschistInnen hatten im September 1939 nicht mehr geglaubt, daß Hitler von einer deutschen Opposition besiegt werden könnte. „Hitler, den werden wir nur los, wenn der Krieg kommt, und das war gleichzeitig unsere Angst und unsere Hoffnung“ beschreibt Johann Reiners die Stimmung des „anderen Bremen“ zu Beginn des Krieges.

Markus Daschner