: Erst der Westen, dann die Moral-betr.: "An die Westlinke", taz vom 14.8.89, "Apartheid der AL", taz vom 22.8.89
betr.: „An die Westlinke“, taz vom 14.8.89, „Apartheid der AL“, taz vom 22.8.89
„Erst Reform, dann die Anerkennung“ - dies Lied, das Freya Klier singt, ist nicht neu. Gemeint ist wahrscheinlich: Reform - DDR-BürgerInnen dürfen mitmachen - bleiben im Osten - DDR verändert sich - kann anerkannt werden, weil dann ja eh keiner mehr in den Westen will.
Anerkennung als Belohnung oder Trostpreis für eine Regierung, die ihre lang geübten Methoden der Machterhaltung, der ökologisch unvertretbaren Industrie und Landwirtschaft und der Geschichtsverfälschung freiwillig (oder gegen Bezahlung, wie es Udo Knapp in der taz vom 24.8. vorschlägt) aufgibt?
Daß eine neue DDR-Politik nötig ist, denken wir auch. Warum aber zieht eine Anerkennung der DDR-Staatsbürgerschaft zwangsläufig nach sich, daß (legal oder illegal) Ausgereiste einen Asylantrag stellen müßten, wie auch Teile der AL meinen? Oft geübte Propaganda ist es, diese vermeintliche Folge als Schreckgespenst zu malen und damit gegen eine Anerkennung zu „argumentieren“. Müssen deutsche Menschen aus Polen oder Rumänien sich einem Asylverfahren unterziehen? Und erinnert nicht die Tatsache, daß überhaupt Menschen sich einem schändlichen Asylverfahren unterziehen müssen, viel mehr an Apartheid als der Vorschlag, wenn schon, dann sollten alle es tun? Dies erwägend, graust uns. Freya Klier übertrifft mit ihrem Apartheid-Vorwurf noch Heiner Geißler, der die SED der Apartheid-Politik bezichtigte. Die Apartheid Südafrikas verharmlost sie damit obendrein.
Über die Existenz der DDR kann sich keine/r mehr hinwegsetzen, erst recht nicht eine ehemalige DDR-Bürgerin, die sich unseres Wissens links einordnete. Die Diskussion über Anerkennung beantwortet nicht die Frage, wie man/frau/staat sich Menschen gegenüber verhält, die aus der DDR gekommen sind. Zwischen „rechtem Stimmvieh“ und (linken) „politischen Widerhaken“ liegt ein weites Feld; wer da pflügt, findet politische, wirtschaftliche und schlicht private Gründe. Teile der westdeutschen Linken haben sich diesem Thema gegenüber überhaupt nicht oder mit Vorbehalten verhalten, soweit hat Freya Klier recht; die Rechte hat sich vorwiegend sonntags und verbal damit befaßt.
Den Staat DDR anzuerkennen, heißt lange nicht, den Menschen dort ihre Probleme mit diesem Staat abzuerkennen. Es heißt nicht einmal, Menschen im Westen ihre Schwierigkeiten mit diesem Staat abzusprechen. Zahlreiche Einreiseverbote hindern Westlinke daran, sich bei der SED anzubiedern und deren „Machterhalt zu dienen“, wie Freya Klier unterstellt. Solche Unterstellung könnte genausogut von Lummer stammen.
Die Existenz einer Opposition in der DDR zu leugnen, wie es Freya Klier in letzter Zeit mehrfach tat, erinnert uns dagegen an Karl Eduard von Schnitzler. Lediglich „Strömungen“ und einige „tapfere Menschen“ will sie gelten lassen. Muß man/frau sie wirklich daran erinnern: Es waren Tausende, die im Januar 1988 Abend für Abend auch ihretwegen in die Kirchen gingen oder sich auf andere Art solidarisch erwiesen, um unter anderem sie aus dem Knast zu holen. Die waren vielleicht nicht alle links und nicht alle oppositionell, aber Freya Klier ist das inzwischen offenbar auch nicht mehr.
K.u.U.Meyer, Berlin 10
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