piwik no script img

Die Grünen und Osteuropa

Gespräch mit Ralf Fücks, Vorstandssprecher der Grünen,  ■ I N T E R V I E W

taz: Ihr habt am Montag im Bundesvorstand den halben Tag über die DDR-Flüchtlingswelle gesprochen und über die unterschiedlichen Einschätzungen, die es bei den Grünen dazu gibt. Was ist bei der Debatte herausgekommen?

Ralf Fücks: Wir haben mit dem Bundesvorstand, Mitgliedern der Bundestagsfraktion, der AL und einigen Ex-DDRlern diskutiert. Dabei gab es vor allem zwei Ergebnisse. Die Position des Geschäftsführenden Ausschusses der AL, jetzt mit einer grünen Begründung die Mauer vom Westen her abzudichten und den DDR-Bürgern die Möglichkeit zu erschweren, den Staat zu wechseln, war starker Kritik ausgesetzt. Wir waren uns aber darin einig, daß die Eigenstaatlichkeit der DDR anerkannt werden muß, wir den großdeutschen Wiedervereinigungsträumen eine endgültige Absage erteilen. Das kann aber nicht bedeuten, daß das Besitzrecht der SED an den DDR-Bürgern anerkannt wird. Deshalb habe ich vorgeschlagen die Anerkennung der DDR mit einer doppelten Staatsbürgerschaft zu verbinden für all die DDR-Bürger, die das wollen und damit auch das selbstverständliche Recht haben, den Staat zu wechseln.

Beginnt der Streit bei den Grünen nicht da, wo es um die politische Bewertung der Tatsache geht, daß die Menschen einfach nur wegwollen aus diesem Land?

Wer ausreisen will, soll ausreisen. Wir sind nicht Richter über die Motive der Leute. Aber es soll auch die Möglichkeit geben, wieder zurückzureisen, für wie lange und aus welchen Gründen auch immer. Der Zwang zum Bekenntnis, entweder zur DDR oder zur Bundesrepublik, muß verschwinden zugunsten von tatsächlicher Freizügigkeit und die muß auch das Recht der doppelten Staatsbürgerschaft beinhalten, als einen Status, der das ermöglichen soll.

Das ist doch für die DDR in keinster Weise akzeptabel; greift sie meines Erachtens erst recht an.

Es gibt Angriffe, die ich richtig finde, dazu gehört der des feudalistischen Anspruchs auf Eigentum über die Staatsbürger. Und es gibt Angriffe, die ich kritisiere. Dazu gehört der Anspruch, die DDR wieder einzuverleiben in einen Staatsverband, der von der Bundesrepublik dominiert wird. Das ist innen- und außenpolitisch eine schwarze Utopie gegen die sich die Grünen klar abgrenzen müssen.

Geht es nicht auch um den heimlichen Wunsch nach einem sozialistischen Sonderweg, den die DDR gefälligst gehen soll, und den die Linke hier trotz aller Träume nie hingekriegt hat?

Auszureisen oder zu bleiben, ist keine Manövriermasse für programmatische Ziele. Es geht nicht darum, DDR-Bürger zum Bleiben aufzufordern in der Hoffnung, den realen Sozialismus noch zu demokratisieren. Ich halte aber auch überhaupt nichts davon, Systemoptionen festzuschreiben, während die Verhältnisse sich in ganz Ostmitteleuropa rasant verändern. Ob die DDR reformierbar ist oder nicht, wird sich erweisen.

SED-Ideologe Reinhold hat jüngst auf die Legitimationskrise einer reformierten DDR hingewiesen. Ist nicht die Diskussion, die wir führen, über die Notwendigkeit von Reformen zu sehr vom grünen Tisch aus geführt? Übersehen wir vielleicht, daß mit Reformen die Legitimation der DDR schwindet? Wenn die DDR demokratisch wird, woraus soll sie dann noch ihre Legitimität als eigener Staat beziehen? Aus einem besonderen Zusammenspiel von Sozialpolitik und Wirtschaft? Schwindet diese Legitimität nicht zwangsläufig, wenn sie darauf reduziert wird? Stell‘ dir vor, nach 1990 gibt es eine rot-grüne Regierung in Bonn und hier beginnt dann auch ein ökologisches Reformjahrzehnt. Die Unterschiede würden dann noch geringer, staatliche Legitimität für zwei Staaten abnehmen?

Fakt ist, daß das jetzige gesellschaftspolitische System der DDR keine eigenstaatliche Legitimation geschaffen hat. Der DDR, ihrem herrschenden Apparat, bleibt nur die Flucht nach vorn in das Risiko der Demokratisierung, wenn sie nicht die tödliche Alternative wählen will zwischen einer brutalen Restalinisierung und damit einer völligen Lähmung oder dem Auseinanderbrechen der DDR und der quasi Einverleibung durch die Bundesrepublik. Ob es in der Bevölkerung in der DDR, in der Gesellschaft noch die Kraft gibt, einen eigenständigen Weg zu suchen, und nicht das Modell Bundesrepublik als einzige Alternative zum real-existierenden Sozialismus zu kopieren, das kann ich nicht entscheiden. Je länger das Risiko der Reform auf sich warten läßt, desto größer wird die Attraktivität der Bundesrepublik als real existierende Alternative. Das ist klar.

Gab es eigentlich in der Diskussion bei euch lediglich eine Polarisierung zwischen AL und Bundesgrünen, oder verliefen die Diskussionslinien quer? In der Frage der Deutschlandpolitik ist es ja generell so, daß Lagerbildungen quer zu Links-rechts-Schemata auch innerhalb der Parteien verlaufen.

Es gab keine Polarisierung AL-Bundespartei. Soweit ich sehe, ist die Position, die Peter Lohaus für den Geschäftsführenden Ausschuß der AL formuliert hat, auch in der AL durchaus umstritten. Es gab ein suchendes Gespräch ohne starre Fronten und das war erfreulich. Ein wichtiges Ergebnis dieses Gesprächs war auch, daß wir jenseits aller Fragen der großen Diplomatie die Zusammenarbeit mit den Ansätzen demokratischer Opposition in der DDR werden intensivieren und gemeinsame Strukturen aufbauen müssen. Eine Zusammenarbeit, die wir nicht koppeln dürfen an das Wohlwollen der SED.

Habt ihr Beschlüsse gefaßt?

Es gibt verschiedene Projekte, über die wir jetzt weiter beraten. Es geht zum Beispiel um eine engere umweltpolitische Zusammenarbeit mit der Öko-Opposition in der DDR: die Sanierung der Weser, Schönberg und den Aufbau einer gemeinsamen Umweltdatei.

Ihr fahrt zum 1. September nach Polen. Vermutlich werden sich auf der Westerplatte die Grünen, Johannes Rau und Walter Momper treffen. Ich habe immer den Eindruck, ihr alle fahrt dahin, weil Kohl nicht fährt und ihr das bessere Deutschland repräsentieren wollt. Ist das nicht problematisch?

Wir haben nicht die Anmaßung, das bessere Deutschland zu repräsentieren. Ich halte es schon für ein politisch moralisches Gebot, daß zu diesem geschichtsträchtigen Datum Delegationen aus der Bundesrepublik in Polen sind und dort versuchen, Wege zur Aussöhnung und Zusammenarbeit zu erkunden, die über die jetzige Stagnation zwischen den Regierungen hinausführen. Wir haben gleichzeitig das Interesse, in dieser Situation revolutionärer Reformen in Polen zu erkunden, welche Vorstellungen sowohl die alten wie die neuen gesellschaftlichen Kräfte in Polen von der Zukunft ihres Landes haben und wie wir von der Bundesrepublik aus diesen Prozeß der Erneuerung unterstützen können.

Das Verhältnis der Grünen zu Solidarnosc stellte sich für mich immer sehr merkwürdig dar: zwischen Ablehnung und Skepsis, vor allem auch wegen der Rolle der katholischen Kirche. Aber auch, weil ganze Strömungen bei den Grünen in Bierseligkeit immer noch in der erstarrten Form des realen Sozialismus ihre Utopien aufgehoben sahen.

Ich glaube, das Bedürfnis die gesellschaftliche Reformbewegung in Osteuropa nach dem Katechismus des Sozialismus zu zensieren, spielt bei den Grünen heute kaum noch eine Rolle. Zum einen, weil dieser sozialistische Maßstab stärker seine Konturen verloren hat. Zum anderen, weil sich herausgestellt hat, daß die Organisationsform und die Ideologie der demokratischen Bewegung in Osteuropa ihren eigenen Gesetzen folgt. Und wir, bevor wir darüber urteilen, müssen uns damit auseinandersetzen, welche Erfahrungen die osteuropäische Opposition der westeuropäischen Linken eigentlich mitzuteilen hat aus einem jahrzehntelangen Kampf gegen totalitäre staatliche Strukturen, die sich mit der Theorie und Praxis des Sozialismus legitimiert haben. Insofern ist die Bereitschaft zu einer offenen Auseinandersetzung mit Bewegungen wie Solidarnosc heute erheblich größer als 1981/82. Darüber hinaus hat der Bezug auf den realen Sozialismus innerhalb der Grünen heute übrigens keine politische Bedeutung mehr. Es hat aber auch immer Kräfte bei den Grünen gegeben, die Solidarnosc und Charta 77 enthusiastisch begrüßten, weil sie damit die Hoffnung verbunden haben, daß sich ein dritter Weg öffnen könnte zwischen realem Kapitalismus und realem Sozialismus. Das ist eine Hoffnung, die ich immer noch nicht aufgegeben habe, wenn auch nicht als Modell, das wir einfach kopieren könnten.

mtm

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen