piwik no script img

Berlin 1945: Weiße Fahnen und Handtücher

■ Ein polnischer Historiker, der an der Befreiung Berlins teilnahm, erinnert sich / Gefühl des Stolzes, aber Schmerz statt Schadenfreude

Der polnische Historiker Marian Fuks (Jahrgang 1914) hat als Soldat einer Polnischen Division an der Befreiung Berlins im April 1945 teilgenommen. Fuks war von 39-45 Soldat, geriet Anfang 1940 wegen angeblicher Spionage in sowjetische Gefangenschaft. Nach der sowjetisch-polnischen Wiederannäherung wurde er 41 entlassen. Er weigerte sich, in die Rote Armee einzutreten, und schloß sich der von der Londoner Exilregierung organisierten 60.000 Mann starken Polnischen Armee an, die 45 bis an die Siegessäule vorstieß. Er war bei der Befreiung Warschaus und Danzigs dabei. Der Historiker Fuks, selbst Jude, hat mehrere Bücher über die polnischen Juden, über das Warschauer Ghetto und den Holocaust geschrieben.

„In die Vorstädte von Berlin kam ich Ende April 1945. In Spandau trafen wir polnische Zwangsarbeiter, die bei Siemens gearbeitet hatten. Es war ein ungeheuerliches Bild der Vernichtung und Zerstörung, das mir meine zerstörte Heimatstadt Warschau in Erinnerung rief. Aus den Fenstern der demolierten Häuser und der verbrannten Ruinen hingen weiße Fahnen, Papiere, Handtücher und Bettlaken. Ich war im verbrannten Reichstag, wo ich viele verschüttete und brennende Dokumente sah, eins nahm ich zum Andenken mit. Die sowjetischen und polnischen Soldaten hinterließen auf den Reichstagsmauern ihre Namen. Ich schaute mit einem Gefühl von Stolz, aber auch mit Schmerz auf dies Bild der Vernichtung. Ich spürte keine Schadenfreude, keine Befriedigung beim Anblick der abgemagerten Reste des Volkssturms, der Alten und der ganz Jungen, die in den hoffnungslosen Kampf um die letzte Bastion des Nazismus geworfen worden waren. Das großartige Berlin des Geistes und der Wissenschaft war tot. Das Ergebnis des Hitlerismus war nicht nur Millionen ermordete Menschen in ganz Europa, aber auch Hunderttausende getötete, verkrüppelte Deutsche. Tote in der Erde von Stalingrad und Warschau und anderen Orten, wo die Faschisten Lebensraum gesucht hatten. Ich war an allen Orten, wo die Polnische neben der Roten Armee gekämpft hat. Die Polnische Armee war zwar nur ein kleiner Teil der Millionen Soldaten der sowjetischen Armee, aber sie hat einen großen moralischen, politischen und emotionalen Anteil am letzten Akt des Zweiten Weltkriegs. Denn Polen ist das erste Opfer des hitlerischen Faschismus gewesen.“

kotte

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen