: Eingeschränkter Blick zurück nach vorn
■ Wie private und öffentlich-rechtliche Sender den 50.Jahrestag des Kriegsausbruchs fernsehtechnisch bewältigen
Freitag, 1.9.'89, 20.15 Uhr, ARD: Als der Krieg begann. Ein Kriegsanfang mit Blick nach vorn - auf die Beziehung zwischen Polen und Deutschen. Die ARD hatte mit der Serie Elf Tage im August ihrer Chronistenpflicht Genüge getan und konnte sich frei vom historischen Ballast ganz auf die Lehren aus dem Vergangenen konzentrieren. Fast salbungsvoll legte sich Fritz Pleitgen die Worte zurecht und sprach von einem Verhältnis zwischen Polen und Deutschen, welches auch künftig das Schicksal Europas mitbestimmen wird.
Fernsehen muß nicht zwingend zur Weitsicht führen, auch wenn man angestrengt über die Grenzen starrt und Korrespondentin um Korrespondenten herbeischaltet. Wenn sich dazu noch Pannen häufen, wenn ein Einspielfilm von Klaus Bednarz ohne Ton bleibt, dafür dann Helga Märtersheimer von „Friedens„-Rockmusik übertönt wird, gerät es schnell zur Tortur. Fritz Pleitgen verschärfte den Eindruck eines sendetechnische und inhaltlichen Bermudadreiecks zwischen Danzig, Warschau und Köln noch, indem er seine Studiogäste Willy Brandt und den polnischen Historiker Wladyslaw Bartoszewski - als bloße Stichwortgeber benutzte. Eine Frage zur Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze und dann eine Live -Schaltung, ein Häppchen zum Hitler-Stalin-Pakt und wieder eine Sprechblase aus Warschau, Bad Godesberg oder Poznan. Der neue Journalismus der anderen Art. Salamitechnik, damit der Fernbedienungsfummler zu Hause jederzeit einschalten, zuschalten, umschalten kann. Erst gegen Ende der Sendung brachten einige Einspielfilme etwas Ruhe und Information. Die erschreckende Umfrage unter jungen Soldaten, die mit dem Datum 1.September nichts anzufangen wissen und im staatsbürgerlichen Unterricht immer noch von „dem Russen“ hören, zerschlug dann jene Hoffnung, die Fritz Pleitgen zu Beginn der Sendung formuliert hatte: vor einer gemeinsamen Zukunft von Deuschen und Polen steht immer noch eine unaufgeklärte, stoische Haltung gegenüber der Geschichte. Fernsehsendungen wie diese tragen allerdings kaum dazu bei, daß sich an der Situation etwas ändern könnte. Die ARD glaubt, sich historisch entschuldigt zu haben. Das mag für die Berichterstattung zum Gedenktag genügen, aber es wirkt eher wie die Entledigung von einer lästigen Pflicht.
Ca. 23 Uhr, Sat 1: Der Zweite Weltkrieg. Eine Fernsehsendung zum Kriegsbeginn ist nicht mit dem Grauen von gestern auf eine Stufe zu setzen und darf deshalb auf dem Fernsehaltar dem Halbgott Tennis geopfert werden. Das endlose US-Open-Match vor Henry Kissingers eloquenter Weltkriegs-Analyse zeigte vor allem eines: wie ernst es Sat 1 mit der Auzseinandersetzung mit jenem Krieg ist, der am 31.1.1933 erste Konturen annahm und vor 50 Jahren begann.
Ein Kriegsanfang im Rück-Blickwinkel. Henry Kissinger kommentierte die Ereignisse, die zum Krieg führten, aus amerikanischer Sicht; mit staatsmännischer Geste und dem Wissen der Gegenwart räsonierte er über die Fehler der alliierten Befriedungspolitik nach dem Ersten Weltkrieg und die wunderliche Zurückhaltung des Westens gegenüber Hitlers immer unverschämteren Heim-ins-Reich-Annexionen. Geschichte von Amerika aus gesehen. Und ein Perspektivwechsel gegenüber der immobilen deutschen Geschichsschreibung, worin eine Chance für die Öffnung des Horizonts für andersartige Thesen hätte bestehen können. Aber Kissingers Analyse blieb dann doch so vordergründig wie die Eindrücke eines amerikanischen Touristen, der „Europe in ten days“ gesehen hat: zwar gelangen ihm einige scharfsinnige Skizzen zur britischen Appeasement-Politik, aber Hitler ist für Kissinger nur ein irrer Diktator. Ein Verrückter, ein Wahnsinniger, der Einzeltäter. Und der Filmkommentar bedient sich der ebenso griffigen wie untauglichen Formel zur Erklärung des Massenzuspruchs: Ruhe und Ordnung, Arbeit für alle, Beseitigung des Versailler Vertrags und Beeindigung des Klassenkampfes. Wo soviel Worten aus prominentem Munde über einen, den einzigen Verführer fallen, trifft das Possessivpronomen am Schluß der Sendung deren Intention auf den Punkt genau: „Am 1.September beginnt Hitler seinen Krieg gegen Polen.“ Ein Mann, ein Krieg und alles andere war ein Dilemma der Staatskunst.
Christof Boy
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