Ohne Lummer geht es nicht

Trotz aufgedeckter Ost-Affäre bleibt Heinrich Lummer ungeschoren  ■ K O M M E N T A R E

Man wird vom CDU-Abgeordneten Lummer noch hören. Mit diesem Fazit schloß der politische Nachruf der taz auf Lummers Abgang als Innensenator im Juni '87. Dazu gehörte keine prophetische Weitsicht, denn wer den „Frontstadtnapoleon“ kennt, wußte, daß Lummer auch in Bonn nicht völlig in den Hinterbänken verschwinden würde. Im Gegenteil, seit Anfang des Jahres - die REPs machten es möglich - steigt sein Kurswert. Als Hoffnungsträger gegen die Konkurrenz von Rechtsaußen huldigte ihn im April der Landesparteitag mit stehenden Ovationen, und Lummers Skandale waren längst wieder vergessen.

Man stelle sich einmal vor, einem prominenten SPD- oder gar Grünen-Politiker würde vorgeworfen, was nun über Heinrich L. durch die Presse geht. Lummer selbst entblödete sich 1974 nicht, wiewohl bereits seit einem Jahr mit seiner Stasi -Freundin liiert, gegen Brandt in der Guillaume-Affäre Strafanzeige wegen Geheimnisverrats zu erstatten - die Denunziation als „Vaterlandsverräter“ war schließlich jahrzehntelang eines der beliebtesten konservativen Instrumente zur Demontage politischer Gegner. Angefangen bei dem ersten antifaschistischen Chef des Verfassungsschutzes Otto John über die Spiegel-Affäre, die jahrelang lancierten Gerüchte gegen Brandt und Bahr bis hin zur Verfolgung einzelner Gewerkschafter, denen aus Kontakten zum FDGB ein Strick gedreht werden sollte: Die CDU heulte vor Empörung, und Lummer marschierte immer vorneweg. Unter seiner Amtsführung galten sämtliche Organisationen links von der CDU a priori als „kommunistisch unterwandert“. In seinem Auftrag fertigte der Berliner Verfassungsschutz Dossier um Dossier über vermeintliche Ost-Berlin-Kontakte diverser Gewerkschaftler, die angebliche Unterwanderung der Berliner SPD und der AL sowieso. Und das alles, nachdem Lummer regelmäßig vom DDR-Staatssicherheitsdienst seit Jahren unter Druck gesetzt wurde.

Die Geschichte ist grotesk, wäre sie nicht so verlogen. Daß sie so verlogen bleibt, dafür werden die CDU und die von ihr kontrollierten Exekutivorgane weiterhin nach Kräften sorgen. Stolz verweist die Partei darauf, daß gegen Lummer selbst noch nicht einmal ermittelt würde. Dabei ist der tatsächliche oder vermeintliche Geheimnisverrat am uninteressantesten. Lummer hat ganz andere Sachen auf dem Kerbholz. Sechs verbrannte Asylbewerber im Berliner Abschiebeknast, ein zu Tode geschleifter Demonstrant im Zuge Lummerscher Häuserräumungspolitik im Herbst '81, tiefe Verstrickungen in Berliner Korruptionsaffären und enge Kontakte zu Neonazis - warum sollte ihm da eine Liebschaft mit einer Stasi-Agentin zum Verhängnis werden? Lummer wird noch gebraucht. Und was Weizsäcker als Berliner Regierungschef bereits wußte, ist heute dringender denn je. Wer sonst soll Schönhuber noch stoppen?

Jürgen Gottschlich