: Eigene Tochter entführt?
■ Eine Mutter soll in den französischen Strafvollzug abgeschoben werden, weil sie mit ihrer sexuell mißbrauchten Tochter vor dem Vater nach Berlin flüchtete
Einer Französin, die wegen ihrer vom Vater sexuell mißhandelten Tochter nach Berlin geflüchtet war, droht möglichweise die Abschiebung. Wie die Rechtsanwältin der Betroffenen, Dr. Rasch, mitteilte, sei die Frau im Mai 1988 wegen angeblicher Kindesentführung in Abwesenheit in Frankreich zu zwei Jahren Haft ohne Bewährung verurteilt worden. Die Botschaft ihres Heimatlandes hatte daraufhin im Auftrag der französischen Regierung um Festnahme und Auslieferung der Frau ersucht.
Grundlage hierfür ist das Europäische Auslieferungsabkommen (EAÜ). Nur wegen fehlender Unterlagen, die derzeit bei den französischen Behörden angefordert werden, hat das Kammergericht von der Auslieferung bisher abgesehen.
1986 war die heute 43jährige Französin mit ihrer zwölfjährigen Tochter und dem vierjährigen Sohn nach Berlin gezogen. Der Grund: Der Vater hatte das Mädchen bei den regelmäßigen Besuchen jahrelang sexuell mißhandelt. Eine gerichtliche Aussetzung des Umgangsrechts, die Frau L. zu erwirken versuchte, war von den französischen Gerichten abgelehnt worden. Weitere Kontakte zum Vater hatten einen Selbstmordversuch der Tochter zur Folge. Die Mutter sah daraufhin keinen anderen Ausweg mehr, als ins Ausland zu flüchten. Ein Jahr später, mittlerweile in Berlin, suchte ein Angehöriger der französischen Militärpolizei die Wohnung der Familie auf. In Abwesenheit der Mutter erkundigte er sich, ob die 13jährige nicht noch einmal ihren Vater besuchen wolle. Frau L. entschloß sich daraufhin, bei einem deutschen Gericht die Aussetzung des Umgangsrechts zu beantragen - was aufgrund eines hinzugezogenen Jugendamtsberichts erfolgreich verlief.
Ohne ihr Wissen wurde die Französin während ihrer eigenen gerichtlichen Anstrengungen auf Initiative des Vaters hin in Frankreich wegen Kindesentführung verurteilt. Zwar hatte sie eine Ladung zur mündlichen Verhandlung des Prozesses erhalten, dem Präsidenten des Gerichts jedoch wegen einer Erkrankung ein ärztliches Attest geschickt. Von ihrer Verurteilung erfuhr Frau L. erst durch das Auslieferungsersuchen der französischen Behörden, da ihr noch nicht einmal das Urteil zugeschickt worden war.
Nach Angaben ihrer Rechtsanwältin ist nun neben der in Aussicht stehenden Auslieferungshaft auch eine direkte Verhaftung durch die französische Militärpolizei möglich. Diese hat sich bereits verschiedentlich um diesen Fall „gekümmert“. So hatte die französische Militärregierung neben der direkten Befragung des Mädchens im Januar 1988 das Jugendamt Wedding unter Einschaltung der Senatskanzlei und unter Berufung auf alliiertes Schutzrecht gezwungen, Auskunft über den Aufenthalt der Familie zu erteilen. Rechtlich dürfte dieses Vorgehen höchst zweifelhaft sein: Die Militärpolizei darf nach alliiertem Recht nur Erkundigungen über Privatpersonen einholen, wenn die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet ist.
cb
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