: Der Sachzwang ist ein mächtiger Verbündeter
■ Im Statistischen Bundesamt wird an der Konzeption einer „Umweltökonomischen Gesamtrechnung“ gearbeitet, die schon im nächsten Frühjahr diskussionsreif sein soll
Berlin (taz) - Der Vorwahlzeit ist es zu verdanken, daß die Ökosteuer als Staatsinstrument in eine ernsthafte öffentliche Diskussion geraten ist. Noch weitgehend unter sich, beschäftigen sich auf der Ebene der Unternehmen ForscherInnen aus dem Umkreis des Berliner Instituts für Ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW), aber auch aus dem Wissenschaftsbetrieb seit Jahren mit einer ökologischen Betriebswirtschaftslehre. Und auch zur Bestimmung der volkswirtschaftlichen Bedeutung ökologischer Entwicklungen gibt es bereits Einzeluntersuchungen; zudem fand dazu im Mai eine Anhörung des Bundestags -Wirtschaftsausschusses statt.
Jedoch: Der aufwendige, zur Beobachtung, Vereinheitlichung und regelmäßigen Auswertung notwendige Apparat fehlt bislang. Das soll sich ändern, wenn es nach Egon Hölder geht, dem Chef des Statistischen Bundesamtes in Wiesbaden. Er kündigte den Aufbau einer „Umweltökonomischen Gesamtrechnung“ an (taz vom 22.8.). Sie soll mit der traditionellen Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung verkoppelt werden können, die die Wechselbeziehungen zwischen Umwelt und Wirtschaft weitgehend ausblendet.
Bruttosozialprodukt
reicht nicht mehr aus
Denn bis weit in die Bürokratie hinein hat sich herumgesprochen, daß die Schlüsselzahl der Wachstumsgesellschaft, der Zuwachs des Bruttosozialprodukts, allein nicht mehr ausreicht, um hinreichend gültige Aussagen über die Befindlichkeit von Staat, Volk und Wirtschaft zu machen. So wird der Sachzwang zum mächtigen Verbündeten. Die Konzeption des neuen Rechenwerks, so sieht es ein internes Papier der Behörde vor, soll schon im Frühsommer des nächsten Jahres zur öffentlichen Diskussion vorgestellt werden.
Das Besondere daran: Die Umweltökonomische Gesamtrechnung soll über die bisher vorgeschlagenen statistischen „Satellitensysteme“, die eher einen Meldecharakter haben, hinausgehen und auch das Austauschverhalten zwischen Wirtschaft und Umwelt deutlich machen. Das Ziel: Das Wirtschaftsergebnis um einen Umweltfaktor korrigieren zu können.
Denn, so das Papier, daß wirtschaftliche Aktivitäten von der industriellen Güterproduktion über die Landwirtschaft bis zum Verkehr in vielfältiger Weise auf die Umwelt einwirken und Wechselbeziehungen zur Folge hatten, wurde über lange Zeit hinweg kaum beachtet. Aus der öffentlichen Diskussion ergebe sich zumindest, daß über die Lage der Umwelt und ihre Entwicklung Erkenntnisse gesammelt und so aufbereitet werden müssen, daß sich Entscheidungen über Umfang und Art von Eingriffen in das natürliche Geschehen aus objektiven Informationen herleiten lassen. Ebenso, wie das wirtschaftliche Geschehen seit langem als Gesamtprozeß verstanden und in den Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen auch so erfaßt werde, könne es mit den erkennbaren Wechselwirkungen zwischen Wirtschaft und Umwelt gehalten werden.
Zum Schluß: Die
Öko-Globalrechnung
Die langfristigen Entwicklungen der Lebensbedingungen, aber auch spontane Umweltänderungen wie Klimaschwankungen, Vulkanausbrüche oder kurzfristige Wetterlagen mit Auswirkungen auf Ernten sollen intensiver beobachtet und in ihrem Zusammenhang mit dem Wirtschaftsgeschehen dargestellt werden. In das Rechenwerk sollen die wichtigsten Faktoren eingehen - auch dann, wenn sie nicht auf den Menschen zurückzuführen sind, wenn die Quellen der Umweltveränderungen außerhalb des Bundesgebietes liegen und Konsequenzen aus ungewollten Importen über Luft und Wasser sind. Die BeamtInnen haben sich also viel vorgenommen. Denn daß das Statistische Bundesamt, spätestens durch die Volkszählung weithin bekannt geworden, die geeignete Behörde ist, sei klar: Es hat Erfahrungen im zahlenmäßigen Umgang mit komplexen Informationssystemen, hat bei aller Eigenständigkeit der Umweltökonomischen Gesamtrechnung die Möglichkeit ihrer praktischen Verknüpfung mit der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung und verfügt ohnehin über einen großen Bestand an Informationen und Indikatoren über die Beeinflussung der Umwelt.
Wegen der Abhängigkeit vom Geschehen im Ausland müsse dann eine EG-weite und dann wohl sogar weltweite Rechnung als „Öko-Globalrechnung“ angestrebt werden. Solange das nicht geht, sollte die BRD allerdings einstweilen ihre Rechnungen für sich anstellen. Die Zeitreihen, die dabei entstehen, können dann für die Beurteilung des Handlungsspielraums gegenüber der Natur und notwendiger Reaktionen im Bereich der Wirtschaft bilden.
Hauptproblem:
Bewertung in Geld-Größen
Die Notwendigkeit objektiver Daten und die ökonomische Rationalität der Gesellschaft, die die Umweltzerstörung im globalen Maßstab überhaupt erst ermöglicht hat, steht dabei nicht in Frage. Doch wie können Schaden und Nutzen von Eingriffen in die Natur überhaupt gemessen werden? Läßt sich ein „bereinigtes Bruttosozialprodukt“ als „Ökosozialprodukt“ ermitteln? „Das Hauptproblem liegt natürlich in der Frage der Bewertung in Geld-Größen“, räumen die VerfasserInnen freiweg ein; die Bewertung der mengenmäßigen Entwicklung müsse durch Sachverständigengremien erfolgen. Doch explizit wird auch eine zusammenfassende Darstellung in nichtmonetären Größen zugelassen - immerhin ein Eingeständnis, daß die Natur nicht nur Geld wert ist.
Damit schließt das Papier aus der Behörde eine Forderung zumindest nicht aus: Die Einführung von Punkteskalen, die etwa IÖW-Mitarbeiter Klaus Thomasberger bei der Anhörung in Bonn über die ökologischen und sozialen Folgekosten des Wirtschaftens angeregt hatte. Nun wurde in Bonn Alternative sind gründliche Menschen - auch noch eine gesonderte Wohlfahrts-Berichterstattung für die Schadensfolgen gefordert, die sich der volkswirtschaftlichen Bewertung entziehen; dazu gehört etwa die Einschränkung von Wahlmöglichkeiten oder die Beeinträchtigung von ästhetischen Werten durch Umweltzerstörungen. Davon ist allerdings in dem Arbeitspapier nicht die Rede.
In Wiesbaden wirft schon die Beschaffung und Auswertung der Daten für die umweltökonomischen Gesamtrechnungen große Fragen auf; der entsprechende Problemkatalog ist lang. Im wesentlichen sollen die Angaben aus einer genaueren Auswertung der jetzt schon erhobenen Daten kommen, aber auch durch neue, detailliertere und aktuellere Informationen über Abfallaufkommen und -entsorgung, Recycling, umweltökonomische Tatbestände, den Naturschutz und Emissionen erbracht werden. Nüchtern, zugleich aber auch optimistisch heißt es: „Insgesamt ergibt sich in diesem Feld ein erheblicher Forschungsbedarf, der nicht vom Statistischen Bundesamt erbracht werden kann, der aber bei sachgerechter Planung finanzierbar erscheint.“
Wo die kompetenten Leute herkommen sollen, fragen die AutorInnen lieber nicht. Wenn es der Behörde tatsächlich gelänge, Geld und Stellen durchzusetzen, scheint es durchaus möglich, daß die gesamte Öko-Volkswirtschaftsszene demnächst für das Amt in Wiesbaden arbeitet.
Dietmar Bartz
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