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Neu im Kino

■ „Chocolat“ von Claire Denis

Ein kleines Mädchen mag seine Suppe nicht. Aber weil France im französisch kolonisierten Kamerun der fünfziger Jahre lebt, befiehlt sie dem schwarzen Hausboy Protee, vor dem Tisch hinzuknieen und schiebt ihm den Löffel in den Mund, bis der Teller leer ist. Ein einfaches Bild, das den kolonialistischen Alltag auf den Punkt bringt. Die Szene endet hier aber noch nicht: Protee leckt spielerisch, zärtlich ein paar verschüttete Tropfen aus der Hand des Kindes, und France quietscht vergnügt auf. Das ist schon nicht mehr so eindeutig: Protee ist nicht nur Diener, sondern auch ein vertrauter Freund und Vaterersatz für France. Und auch für ihre junge Mutter Aimee, deren Mann oft wochenlang bei Expeditionen aus dem Hause ist, ist der schöne, ruhige Hausboy ein Objekt der Begierde. Das Verhältnis der drei zueinander ist voller uneingelöster Sehnsüchte und widersprüchlicher Emotionen, die festgefügten Spielregeln der kolonialistischen Rollenverteilung sind für sie wie ein Gefängnis, in dem die Gefühle verkrüppelt werden.

Claire Denis Erstlingswerk ist ein sehr leiser Film, der ganz ohne die simple schwarz/weiß Dramaturgie, die spektakulären Greueltaten und das Pathos auskommt, die in den vielen anderen Filmen über Kolonialismus in letzter Zeit vorherrschten. Statt dessen gelingt es ihr, in ruhigen Bildern Stimmungen in einer eigentümlich melancholischen Schönheit zu vermitteln. 15 Jahre lang war sie Regieassistentin bei Costa Gavras, Jim Jarmusch, und bei Wim Wenders, und das erklärt, warum ihr erstes eigenes Werk schon so ausbalanciert, reif und souverän wirkt. Der Film erzählt in Rückblenden aus der Sicht der heute erwachsenen France, die eine Reise in das Land ihrer Kindheit macht. Claire Denis ist in dem gleichen Alter wie diese France, auch sie wuchs in einer französische Kolonie in Afrika auf und sie sagt dazu:„Die Impressionen sind meine eigenen, aber die Geschichte nicht“. Und so verurteilt sie nie, trauert sogar ein bißchen nostalgisch der Zeit ihrer Kindheit hinterher.

Der Film zeigt die Verletzungen auf beiden Seiten, er zeigt auch Protee, der nur dann verzweifelt weint, wenn er sicher ist, daß ihn die Weißen nicht sehen können. Auch wenn er den ganzen Film über kaum etwas sagt, Isaach de Bankole verkörpert ihn so intensiv, leidenschaftlich und zugleich würdevoll, daß er immer im Mittelpunkt steht. France weiß, wenn sie Protee nach dreissig Jahren nur ganz kurz in der Ferne wiedersieht, daß er die gleichen Narben in seiner Handfläche hat wie sie.

Wilfried Hippen

Schauburg, 21.00 Uhr

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