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Feuerleitzentrale versus Abgasfilter

Für neues Friedensforschungsinstitut stellt Schleswig-Holstein 100.000 Mark bereit / Schwerpunkte sind Rüstungskonversion und alternative Produktion / Bei nur fünfprozentiger Militarreduzierung wären bundesweit 40.000 Menschen ohne Arbeit / „Wachstumsbranche Umwelttechnik“ als Auffangbecken für Beschäftigungslose  ■  Von Klaus Balzer

Schleswig-Holstein ist als strukturschwaches Bundesland mit über zehn Prozent Arbeitslosen besonders stark von der Werften- und der Landwirtschaftskrise betroffen. Es besitzt mit insgesamt 100.000 Mitarbeitern der Bundeswehr - 80.000 Soldaten und 20.000 zivile Angestellte - eine relativ hohe militärische Infrastruktur, mit der die Bundeswehr erheblicher Wirtschaftsfaktor ist. 1986 wurden etwa fünf Milliarden Mark für militärische Zwecke ausgegeben, das sind im Vergleich 42 Prozent des Landesetats. Zudem ist das Bundesland verhältnismäßig abhängig von den Rüstungsexperten der Werften und MAK (Maschinen- und Anlagenbau Krupp) Kiel. Hinzu kommt, daß das nördlichste Bundesland durch Umweltprobleme im Bereich Nord- und Ostsee besonders stark belastet ist, was sich auch erheblich auf die Finanzsituation des Landes und privater Unternehmen durch sinkende Touristenzahlen und Beeinträchtigung in der Rohstoffversorgung für bestimmte Industriezweige auswirkt. Eine umfassende Konversionspolitik stellt nach Meinung de Landesregierung Möglichkeiten zur Bewältigung diese Probleme dar.

Heizsysteme anstelle von Militärflugzeugen

Der traditionelle Konversionsgedanke entstand in den gesellschaftlichen Umbruchperioden der zwei Nachkriegsepochen: Umstellung der Kriegsproduktion auf „Friedensproduktion“ war der Leitgedanke. Die Reichskonferenz der Rüstungsarbeiter verabschiedete 1919 eine Resolution, in der vorgeschlagen wurde, „jede fernere Erzeugung von Kriegsmaterial prinzipiell abzulehnen und eine Umstellung der Betriebe für Friedensarbeit zu erwirken“.1

Nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte sich schnell eine Bewegung für Produktumstellung, als die Demontage von Industrieanlagen verhindert und versucht wurde, eine „Friedensindustrie“ zu errichten. Mitte der siebziger Jahre wurde dieser Gedanke in Großbritannien wieder aufgenommen von den Arbeitern des britischen Rüstungskonzerns Lucas Aerospace, in dem umfangreiche Rationalisierungsmaßnahmen durchgeführt werden sollten. Über die Vorstellung von neuen Produktideen (Straßen-Schienen-Bus, neue Heizsysteme) wollte die Belegschaft die Rationalisierungen verhindern: Zwar kam es bis 1981 zu keiner der geplanten Massenentlassungen, aber die Unternehmensleitung verweigerte jede Zusammenarbeit in bezug auf die Produktion. So gesehen mußte das angestrebte Konversionsprojekt als gescheitert angesehen werden.

In der Bundesrepublik entstand der erste Arbeitskreis Alternative Fertigung Anfang 1981 auf der Hamburger Werft Blohm und Voss und gab durch seine Arbeit den Anstoß zur Gründung von über 15 weiteren Arbeitskreisen allein im norddeutschen Raum. Während sich diese Arbeitskreise zunächst auf die Werften beschränkten und als Grundgedanke die Umstellung von Rüstungs- auf zivile Produktion bewahrten, reicht die Bandbreite heute über andere metallverarbeitende Betriebe bis hin zu Genforschungseinrichtungen mit unterschiedlichen Begründungszusammenhängen, wobei an herausragender Stelle die Entwicklung von Umwelttechnologie in Verbindung mit Arbeitsplatzsicherung stehen.2

Wiener Verhandlungen machen Soldaten arbeitslos

Während sich durch die Ausweitung der Arbeitskreise Alternative Fertigung auch auf nichtrüstungsproduzierende Industriezweige im Praktischen ansatzweise schon eine Erweiterung des Konversionsbegriffes ergeben hat, soll durch den Aufbau des Friedensforschungsinstituts in Schleswig -Holstein eine wissenschaftlich abgesicherte Arbeit in diesem Bereich begonnen werden.

Wesentliche Voraussetzung hierfür ist nach Meinung von Professor Klaus Potthoff zum einen eine interdisziplinäre Forschung, in der nicht nur die Hochschulen, sondern auch Gewerkschaften, Arbeitnehmer und Unternehmer einbezogen werden müssen. Und zum anderen ein strikter anwendungsbezogener Ansatz, der sich in der ersten Phase auf konkrete Probleme des Landes Schleswig-Holstein beschränkt und dann sukzessive ausgebaut werden soll, vor allem in Richtung der Ostsee-Anrainerstaaten Schweden, Dänemark, DDR, Polen und Sowjetunion.

Die Notwendigkeit hierfür ergibt sich einerseits aus ähnlichen Problemen in den genannten Ländern vor allem im Umweltschutz, die nur noch grenzüberschreitend gemeinsam gelöst werden können, und andererseits daraus, daß im Interesse einer stabilen Situation in Europa auch die Forschung konvertiert werden muß. Und dies geht nach Meinung von Professor Potthoff um so besser, wenn die Konversion einhergeht mit blockübergreifender Zusammenarbeit vor allem in der gemeinsamen Entwicklung von Technologien im Umweltbereich.

Für die Schleswig-Holsteiner stellen sich aber auch konkrete kommunal- und strukturpolitische Probleme, die einen neuen Konversionsbegriff nötig machen. Für einige Gebiete im nördlichen Bundesland (zum Beispiel Flensburg) ist nach - von der Bundeswehr weder bestätigten noch dementierten - Informationen die Auflösung von Bundeswehrstandorten geplant.

Sollten ferner die Wiener Verhandlungen zur Verminderung der konventionellen Rüstung in Europa voranschreiten und Erfolge zeitigen, stellt sich für die Soldaten und die zivilen Angestellten der Bundeswehr die Frage nach neuen Arbeitsplätzen. Der Friedensforscher Herbert Wulf vom SIPRI -Institut in Stockholm hat errechnet, daß bei einer jährlichen Verminderung der konventionellen Rüstung um fünf Prozent bundesweit für circa 40.000 Beschäftigte pro Jahr neue Arbeitsplätze gefunden werden müssen.3 Für das Land Schleswig-Holstein waren dies jährlich 2.000.

Es ist nicht davon auszugehen, daß eine solche Zuwachsrate von Arbeitssuchenden durch den Markt aufgefangen werden kann. Zumal dann nicht, wenn die Forderung nach Streichung des Rüstungsexportes in Gebiete außerhalb der Nato durchgesetzt würde. Dann wäre noch mal eine allerdings einmalige Zahl von mindestens 40.000 Arbeitslosen im Bundesgebiet zu bewältigen.

Die mit einem solchen Truppenabbau verbundenen struktur und regionalpolitischen Probleme sind insgesamt noch nicht absehbar, Untersuchungen und Daten liegen aufgrund der gerade erst begonnenen Diskussion noch nicht vor. Denn in den erweiterten Konversionsbegriff ist neben den traditionellen Produktionsbereichen auch der bis jetzt noch nicht erfaßte Sektor der umfassenden Dienstleistungen einbezogen.

Wegen der komplexen Struktur dieses Bereiches werden die Schwierigkeiten der Konzeptentwicklung ungleich größer als im traditionellen Bereich. Während in der überschaubaren Größe einer Werft mit klaren produktionstechnischen Anknüpfungspunkten einzelne alternative Produkte entworfen und entwickelt werden können, müssen im unübersichtlichen Bereich einer kommunalen Struktur nicht einzelne Produkte, sondern ganze Wirtschaftsstrukturen geändert werden.

Umwelttechnik als Konversionsschwerpunkt

Einen besonders effektiven Ansatz sehen die Kieler Professoren in der Entwicklung von Umwelttechnologien. Und dies aus mehrere Gründen. Klaus Potthoff: „Die gar nicht so neue, aber erst in den letzten Jahren ins Bewußtsein gerückte Bedrohung durch Umweltvergiftung, Treibhauseffekt und Ozonloch wird zusehends größer als die militärische Bedrohung durch einen Gegner, der mit den gleichen oder größeren Umweltproblemen zu kämpfen hat.„4

Auch aus volkswirtschaftlicher und betriebswirtschaftlicher Sicht macht Produktion und Dienstleistung im Umweltbereich immer Sinn. Denn einerseits geht es um den grundsätzlichen Erhalt von Lebens-, Arbeits- und Produktionsbedingungen, und andererseits werden dieser Branche Wachstumsraten vorhergesagt, die mit denen im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie durchaus Schritt halten können.5

Für die Kommunalpolitik ergeben sich in den Bereichen der Energieversorgung, der Müllverwertung, der Bauwirtschaft und vielen anderen hierüber Chancen, wachsende Arbeitsmarktprobleme aufzufangen und besonders in strukturschwachen Gebieten neue Ansätze der Arbeitsmarktpolitik zu entwickeln.6

Beispiele hierfür existieren schon. Im Rahmen des Küstenstrukturprogramms des DGB-Landesbezirks Nordmark wird an ausgewählten Orten ein an kommunalen Problemen orientiertes Verfahren zu „Arbeit durch Umweltschutz“ durchgeführt.7 Der Barsbütteler Unternehmer Jens Petersen entwickelte ein Belüftungssystem für tiefe Gewässer verbunden mit der Schaffung neuer Arbeitsplätze auf einer Flensburger Werft. Vorschläge zu alternativen Produktionen unter Einbeziehung kommunaler Probleme liefert der Kieler „Förderverein Neue Produktionen“, der sich als Vorläufer einer Entwicklungsgesellschaft versteht und aus dem Arbeitskreis Alternative Fertigung bei MAK-Kiel entsprungen ist.8

Für interessierte Firmen

ein lukratives Geschäft

Anders als in der traditionellen Friedensforschung, die vorwiegend Soziologen und Politologen, vereinzelt auch Historikern vorbehalten ist, sollen in dem neuen Institut natur- und ingenieurwissenschaftlich ausgebildete Forscher zusammenarbeiten.

Die anwendungsbezogene Forschung gebietet ebenso eine intensive Kommunikation mit landes- und kommunalpolitischen Instanzen, mit Fachhochschulen wie auch mit einzelnen Unternehmen, Gewerkschaften und den Alternativen Arbeitskreisen. Erste Gespräche haben allerdings ergeben, daß hier mit einigen Vorurteilen und negativen Erfahrungen in der Zusammenarbeit aufgeräumt werden muß.

Für die interessierten Unternehmen könnte dies ein lukratives Geschäft werden: Die zur Zeit in der Rüstungsproduktion durch Bundesmittel abgefederten Risiken würden - die politische Bereitschaft der Landesregierung vorausgesetzt - im Rahmen alternativer Produktion mit ähnlichen Bürgschaften versehen: Erst nach einer längeren Anlaufphase würde das Geschäft mit Umwelttechnologie den Marktbedingungen ausgesetzt. Und auch die Kooperation mit Staaten des Warschauer Vertrages würde sich für diese lohnen. Wie kürzlich im Abkommen mit der DDR über die Finanzierung von Kläranlangen durch die Bundesregierung vereinbart, könnten weitere Bundesmittel in gemeinsam entwickelte Umweltschutzprojekte nach Polen, in die DDR oder die Sowjetunion fließen. Zu Beginn des Jahres 1990 soll, wenn alles gutgeht, das Institut mit der Arbeit beginnen, zunächst projektbezogen. Drei Forschungsstellen sind aller Voraussicht nach durch Drittmittel über Stiftungen gesichert, der Arbeitsschwerpunkt liegt dann zunächst in einer umfassenden Erfassung von Daten als Grundlage für konkrete Entwicklungsprojekte.

Klaus Pothoff möchte Björn Engholm gerne beim Wort nehmen. Dieser hatte kürzlich vor Studenten der Kieler Universität erklärt, daß die Friedensforschung ein wichtiger Schwerpunkt in der schleswig-holsteinischen Landespolitik werden solle. Klaus Potthoff: „Hoffentlich schlägt sich dies in entsprechenden Planstellen für das Institut nieder.“

Klaus Balzer

Klaus Balzer arbeitet als freier Journalist und befaßt sich schwerpunktmäßig mit Struktur- und Umweltpolitik sowie der Rüstungskonversion

Anmerkungen:

1 'Tribüne‘, 20.3.1919, zitiert nach 'IBS-Rundbrief 1986‘

2 vergleiche Sondernummer 'IBS-Rundbrief 1986‘, eine neue Broschüre der Arbeitskreise Alternative Fertigung ist zur Zeit in Produktion und erscheint voraussichtlich im August 1989

3 Herbert Wulf, Thesen zur Konversionsforschung in der Bundesrepublik Deutschland 1989

4 Professor Dr. Klaus Potthoff, Nutzen und Möglichkeiten der Konversionsforschung in Schleswig-Holstein, Thesen, Mai 1989

5 Vergleiche auch die programmatischen Vorstellungen von Unternehmerverbänden über umweltbewußtes Management sowie Prognosen des Bundesverbandes Deutscher Sparkassen, 'Rundbrief 8/88‘

6 Erste Untersuchungen über energiewirtschaftliche Möglichkeiten und Müllentsorgung hat das Hamburger GEWOS -Institut angestellt

7 Vergleiche auch 'Mitbestimmung‘ Nr. 2/89, Entwicklungsland Schleswig-Holstein; 3/89, Anders produzieren

8 Die Entwicklung dieses Vereins ist unter anderem beschrieben im Jahrbuch Arbeit und Technik in NRW, 1988

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