: DUFT NACH ÖL UND EISEN
■ Geheimnisse der DDR: Das Wasserwerk in Friedrichshagen
„Ich zahl‘ doch an den Osten keine 25 Mark Eintritt, um mir 'n altes Wasserwerk anzugucken!“, lautete die bündige Antwort eines Bekannten auf mein Angebot, mal einen Sonntag raus nach Friedrichshagen an den Müggelsee zu fahren und ein technisches Museum zu besuchen. Die Replik kam schnell und erwartungsgemäß, aber ohne Überzeugung. Gelernt ist gelernt.
Dabei mutet der Massenexodus aus der Halbstadt in die entgegengesetzte Richtung immer wieder eigenartig an. Sei's das Gefühl, hier nichts mehr entdecken zu können, oder der Drang, die gewachsenen Bindungen nach Bonn auf den Transitstrecken per Gaspedal zu dokumentieren: es gehört zu den Merkwürdigkeiten der Westberliner Lebensweise, die vielen Ausflugsziele um die Stadt herum noch immer nur zögernd wahrzunehmen. Auch die zum 1. August ausgehandelten Reiseerleichterungen werden daran so schnell nichts ändern.
Es muß ja nicht schon wieder das Pergamon-Museum sein. Gerade wenn die Hitze beutelt, verschafft die Besichtigung eines Wasserwerkes geradezu sinnliche Erleichterung. Raus aus dem knallheißen Auto und rein in die S-Bahn Richtung Erkner, Ausstieg Friedrichshagen, und ein erholsamer Spaziergang unter schattigen Bäumen die Bölschestraße hinunter zum Müggelsee. HO-Eis gibt's auf der linken Seite, Nr. 47. Seit der Reichsgründung haben viele Berliner diesen Spaziergang gemacht. Friedrichshagen wurde einer der beliebtesten Ausflugsorte der aus allen Nähten platzenden Stadt. Proletarisch voll wurde es ab 1891: die preußischen Staatsbahnen hatten den Vororttarif eingeführt. Heute ist die Reise im Vergleich sogar noch billiger.
Unten am Müggelseedamm treffen Erholungsmöglichkeiten und technologische Entwicklung seit 100 Jahren unvermittelt aufeinander, das Wasser als Bindeglied ist imaginär. Für Entdeckungsreisende gibt es dennoch mehr als nur frische Seeluft und Dampferfahrten mit der weißen Flotte: ein seit 1979 unter Denkmalschutz stehendes Wasserwerk. Als größte und modernste Schöpfanlage Europas wurde es 1893 dicht am Ufer des Müggelsees fertiggestellt. 2.000 Liter des klaren Stoffes rauschten damals pro Sekunde durch die Rohre.
Der forsche Berliner Polizeipräsident Hinckeldey hatte 1852 die öffentliche Wasserversorgung beim Magistrat gegen Kostenargumente durchgepaukt. Hygiene war für die Herren kein großes Thema, sie hatten keine Cholera. Entscheidend war die Tatsache, daß Wassernutzungssysteme damals nur von den erfahrenen, aber teuren englischen Wasseringenieuren zu bekommen waren. Der bescheidene Anfang wurde mit einem Reinwasserbehälter auf dem Prenzlauer Berg gemacht, dessen Kapazität schon nach wenigen Jahren der Nachfrage nicht mehr entsprach. Nach einigen weiteren Experimenten folgte dann Mitte der achtziger Jahre der Auftrag für das Wasserwerk in Friedrichshagen. Die Bau- und Konstruktionspläne lieferte der bekannte englische Hafenbaumeister Henry Gill, erster Direkter der Berliner Wasserwerke. Das Finanzierungsmodell dazu konnte sich sehen lassen: die Reparationsgelder, die Frankreich wegen des verlorenen Krieges von 1870/71 an das Deutsche Reich zahlen mußte, wurden gleich in Richtung Müggelsee weitergeleitet.
Die Bauwerke stecken voller Überraschungen, auch wenn man nicht vom Fach ist. Solide ausgeführt in märkischer Pseudo -Gotik, sehen die Schöpfmaschinen wie mittelalterliche Klöster aus; Beamtenwohnungen stecken in den Hüllen englischer Landvillen. Der Zeitgeist regiert in Form roter Backsteine aus Rathenow - bis hin zur steinernen Rosette am Treppenaufgang stimmen die Details. Beim Spaziergang durch die Anlage dämmert einem, was 1975 beim Bau des Internationalen Congreß Centrums in West-Berlin vergessen wurde: die Einbettung in einen wohlgestalteten Landschaftsgarten. Es überrascht dann auch nicht mehr, daß hier unter vermeintlichen Burgzinnen schon Märchenfilme gedreht wurden. Die offizielle Bezeichnung: „Museum für Produktionsgeschichte der Wasserwirtschaft Berlins“ hätte allerdings sicher spritziger ausfallen können.
Die Führung durch eines der Schöpfmaschinenhäuser wird engagiert geboten und bietet nicht nur Stoff für heimliche Industrie- und Technikfreaks. Geschichten von der Spree als stinkendem Berliner Abwasserkanal und die ästhetisch faszinierenden Konstruktionszeichnungen an den Wänden konkurrieren um das sinnliche Vermögen der BesucherInnen. Wie auch immer, aus der Sicht des gestandenen Wasserwerkers geht es hier nicht nur um die Lösung von sogenannten Versorgungsaufgaben, es geht zugleich um die Berufsehre. Höhepunkt der Veranstaltung ist die Vorführung einer sorgfältig rekonstruierten Borsigschen Dampfkolbenpumpe von 1893, das Schwungrad gute fünf Meter im Durchmesser. Wenn das Monstrum langsam anläuft, sind die brutalen Berliner Wasserwirtschaftsverhältnisse und die Arbeitsbedingungen im 19. Jahrhundert einen Moment lang vergessen. Der Geruch von Öl und Eisen ist irgendwie sakral.
Technisch ist das Friedrichshagener Wasserwerk heute noch funktionstüchtig, Teile der alten Maschinen- und Filteranlagen sind noch in Betrieb. Nicht anders aber als in West-Berlin, wo die Wasserwerke mit der Parole „Berliner Wasser - alles klar“ und neckischen Umwelttips in der U-Bahn die Sorglosen spielen, wird auch in der DDR die Verschwendung verwaltet. Das verfügbare Trinkwasser steht schon lange nicht mehr bis zum Hals.
Hier wie dort fördert man beinahe hemmungslos, um ein veraltetes Gesamtsystem möglichst lange nutzen zu können. Wasser aus dem Klo und der Badewanne, aus Industriebetrieben und Großwäschereien, alles läuft mit vergleichsweise sauberem Wasser zusammen durch ein Rohr zur Wiederaufbereitung. Diese Wasserwirtschaft, ein Zögling der Industrialisierung, zielt auf universelle Verfügung, nicht auf ökonomischen Umgang. Die Pläne für Mehrrohrsysteme und flächendeckende industriegebundene Kläranlagen gibt es seit langem. Richtig teuer wird das Ganze erst, wenn der Sprudel knapp wird.
Reinhard Peiler
Zu besichtigen sonntags, 10-15 Uhr, Müggelseedamm 301/308.
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