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Gemeinsame Wurzeln-betr.: "Wroclaw bleibt Breslau", taz vom 1.9.89

betr.: „Wroclaw bleibt Breslau“, taz vom 1.9.89

In den Gebieten jenseits von Oder und Neiße trafen bereits im Mittelalter, wo Nationalstaaten heutiger Prägung unbekannt waren, deutsche und polnische Kultureinflüsse aufeinander. Daraus ergibt sich, daß in dem Bereich viele Städte jahrhundertealte Namen in der polnischen und in der deutschen Sprache haben. Der Name Wroclaw ist also keine „Erfindung“ von 1945, sondern der alte polnische Name für den genauso alten Namen Breslau. Daher hat die Benutzung des einen oder anderen Namen nicht mit der nationalstaatlichen Zugehörigkeit der Städte zu tun. Ähnlich ist es in vielen anderen Städten, zum Beispiel Danzig/Gdansk oder Poznan/Posen.

Kleine Orte in jenem Bereich tragen oft in beiden Sprachen einen Namen mit der gleichen (slawischen) Wurzel, zwei Beispiele aus Masuren: Rudczanny (dt.)/Ruciane (pl.), Biala (pl.)/Bialla (dt.).

Wie berichtet, haben die Faschisten jene zwei Namen (und viele 100 weitere) germanisiert. Insbesondere ab 1938 wurden nicht nur Dorfnamen, sondern auch Personennamen (man/frau denke an die Endung -ski) sogar auf Grabsteinen germanisiert. Die durch Nationalsozialisten germanisierten Namen dürfen zu Recht nicht benutzt werden.

Die anderen Namen erinnern jedoch oftmals an die gemeinsame slawische Wurzel; bis 1933 saßen im Preußischen Landtag immer auch polnische Abgeordnete. Daher ist bei vielen Personen in Deutschland und Polen eine eindeutige nationale Zuordnung schwierig, viele Leute in und aus jenen Bereichen haben sowohl polnische als auch deutsche Wurzeln. (...)

Wer gelesen oder erlebt hat, mit welch grausamer Härte die Polen tyrannisiert wurden, kann verstehen, daß es zur Gebietsabtretung von Deutschland und zu Vorbehalten gegenüber den Deutschen kam. Heute sollten wir aber auch die gemeinsamen Wurzeln sehen. Welcher Vertriebenenpolitiker gäbe wohl zu, daß es vor 1945 in Allenstein/Olsztyn eine polnische Minderheit gab, die auch polnische Zeitungen, aber fast keine Minderheitenrechte hatte? Etliche von ihnen gingen allerdings auch nach 1945 in den Westen, und da sie auch bis 1945 deutsche Pässe besaßen, zählten sie dann auch zu den „Vertriebenen“.

Sich zur deutschen Schuld gegenüber Polen, aber auch zu den gemeinsamen Wurzeln zu bekennen, sind Schritte zur Versöhnung. (...)

Jörn Keck, Osnabrück

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