: Die arme Sau und die Zwerge
Beim Freundschaftsspiel mit Irland (1:1) trampeln sich fünf Mittelfeldspieler auf die Füße, und ein einsamer Stürmer hängt in der Luft / Der irische Fußball, noch im Höhenflug, geht bald altersbedingt am Stock ■ Aus Dublin Ralf Sotscheck
Die Dubliner Innenstadt war am Mittwoch schon vormittags fest in der Hand der Fußballfans. An den Straßenecken hatte sich ein schwunghafter Devotionalienhandel entwickelt: Mützen, Schals, Fähnchen, Trikots. Auf der O'Connell-Brücke wurden Eintrittskarten zu Phantasiepreisen angeboten. Das Rugbystadion an der Lansdowne Road, wo die irische Fußball -Nationalmannschaft ihre Heimspiele austrägt, war schon seit einer Woche ausverkauft - das erste Mal bei einem Freundschaftsspiel. Schließlich ging es ja nicht gegen irgendwen, sondern gegen „die mächtige westdeutsche Mannschaft, eins der stärksten Teams der Welt“ (Stadionzeitung).
Der irische Fußballverband hatte lange auf einen solchen Geldsegen warten müssen. Noch vor vier Jahren war er eigentlich pleite, weil die Nationalmannschaft mit ihrem müden Gekicke niemanden ins Stadion locken konnte. Als Jack Charlton, der Abwehrspieler des englischen Weltmeisterteams von 1966, den Trainerposten im März 1986 übernahm, ging es aufwärts. Die Bilanz der Heimspiele läßt sich seitdem sehen. Die Iren sind seit 14 Spielen in den letzten dreieinhalb Jahren ungeschlagen. Die 'Irish Times‘ fand sogar heraus, daß der irische Torwart Packie Bonner seit Mai 1986 in Dublin kein Gegentor mehr kassieren mußte: Bei den Gegentoren stand allerdings jedesmal Ersatztorwart Gerry Peyton zwischen den Pfosten.
Das Interesse an der irischen Mannschaft ist spätestens seit dem „historischen Sieg“ über den Erzfeind England bei der Europameisterschaft im letzten Jahr sprunghaft gestiegen. Der irische Fußballverband versucht, die Gunst der Stunde auszunutzen und hat ein Team von Werbemanagern beauftragt, den Erfolg der Fußballer zu vermarkten. Neben dem Stadion wurde ein Großzelt aufgebaut, wo vor und nach dem Spiel Essens und reichlich Getränke sowie eine Sitzplatzkarte serviert werden. Wer sich die Mühe ersparen will, die wenigen Schritte zum Stadion zu laufen, kann im Zelt sitzen bleiben und das Spiel im Farbfernseher verfolgen. Das Vergnügen kostet allerdings 300 Mark. Der Verband will die Industrie davon überzeugen, daß es lohnender ist, Geschäftsfreunde statt ins Theater zum Fußball zu schleppen.
Die Stimmung ist im Stadion an der Lansdowne Road allemal besser als im Theater. Die Iren haben die besten Fußballfans Europas. Zwar saufen sie alle Kneipen in Stadionnähe leer und machen während des Spiels einen Höllenlärm, doch die bundesdeutschen Schlachtenbummler waren völlig verblüfft, daß die deutsche Hymne einen frenetischen Applaus auslöste. Die Anhänger der Gastmannschaften haben in Dublin nicht das geringste zu befürchten - außer vielleicht eine Alkoholvergiftung, wenn sie der irischen Gastfreundschaft zum Opfer fallen.
Das Spiel gegen die bundesdeutsche Mannschaft, die in Irland einen geradezu sagenhaften Ruf hat, ist ein Prestigeduell. Die Iren lassen von Anfang an keinen Zweifel daran aufkommen, daß sie gewinnen wollen. Zwar ist ihr Spiel von technischen Fähigkeiten völlig ungetrübt, aber sie erkämpfen sich in der ersten halben Stunde eine Reihe guter Chancen und gewinnen fast jeden Zweikampf. Die bundesdeutsche Mannschaft versucht erst gar nicht, in die gegnerische Hälfte vorzustoßen, sondern spielt rückwärts, bis das gutmütige irische Publikum langsam ärgerlich wird. Das nimmt sich Thomas Häßler offenbar zu Herzen. Mit einem feinen Rückpaß genau in den Lauf von Frank Stapleton bereitet der Kölner die irische Führung in der 10. Minute vor.
Im deutschen Mittelfeld herrscht ein heilloses Gedränge. Littbarski und Augenthaler hatten Beckenbauer dazu „überredet“, mit fünf Mittelfeldspielern anzutreten, deren Durchschnittsgröße vermutlich bei 1,60 Meter liegt. Daß Andreas Möller überhaupt auf dem Spielfeld steht, ist lediglich der Stadionansage zu entnehmen. Nur Klaus Augenthaler feiert nach dreijähriger Pause ein gelungenes Comeback. Sein Münchner Mannschaftskollege Roland Wohlfarth, der ebenfalls drei Jahre nicht in der Nationalmannschaft stand, bildet angeblich den „Sturm“, kann aber auf sich alleine gestellt die Iren nicht beunruhigen.
Beckenbauer bemitleidet den Münchner nach dem Spiel: „Er hatte es sehr schwer. Er war eine arme Sau, wie man in Bayern sagt.“ Dennoch ist Charlton unzufrieden und wechselt nach einer halben Stunde den bekanntesten irischen Spieler, Liam Brady, gegen Andy Townsend aus. Der beleidigte Brady erklärt daraufhin seinen Rücktritt vom internationalen Fußball. Charlton hatte wahrscheinlich vergessen, Townsend zu sagen, daß es sich um ein Freundschaftsspiel handelte. Der Mittelfeldspieler tritt nach allem, was sich bewegt und erhält später dafür zu Recht die gelbe Karte.
Beckenbauers Mannschaft kommt kurz vor der Halbzeit besser ins Spiel. Häßler hat inzwischen die Orientierung gefunden und bereitet mit einem Solo den deutschen Ausgleich vor. Der 17-Meter-Schuß von Dorfner ist zweifellos der Höhepunkt des Spiels.
In der zweiten Halbzeit ist endgültig nichts mehr davon zu merken, daß es sich um ein Freundschaftsspiel handelt. Die Iren kämpfen, als ob es um das letzte Guinness vor Kneipenschluß geht. Dorfner erlebt das Ende des Spiels nicht. Nach einem bösen Foul von McGrath muß er verletzt gegen Fach ausgewechselt werden.
Zwar kontrolliert das bundesdeutsche Team das Tempo, doch die Iren sind einem zweiten Treffer näher, als Whelans Heber vier Minuten vor Schluß nur die Latte trifft. Mit dem gerechten Unentschieden nach einem mittelmäßigen Spiel waren beide Trainer zufrieden. Während Charlton hektisch versuchte, von den Reportern eine Zigarette zu schnorren, verteilte Beckenbauer auf der Pressekonferenz artig Komplimente. Er bezeichnete die Iren als „europäische Spitzenmannschaft“. Doch der irische Frühling wird spätestens nach der Weltmeisterschaft in Italien, für die sich die Mannschaft höchstwahrscheinlich zum ersten Mal qualifizieren kann, zu Ende gehen. Fünf der Stammspieler sind über 30 Jahre alt.
Vom Nachwuchs ist weit und breit nichts zu sehen. Und der britische Stil der Iren, die den Ball nach vorne schießen und hinterherhetzen, kostet Kraft, die viele Spieler schon nach einer Stunde nicht mehr haben. Besonders dem langsamen Linksaußen Tony Galvin war in der letzten halben Stunde deutlich anzumerken, daß er gerne nach Hause wollte, doch Charlton hat keine Alternativen. Beckenbauers Wunsch, im WM Endspiel auf die Iren zu treffen, läßt sich nur durch ein kräftiges Wunder erfüllen. Aber vielleicht kann der Papst ja in Italien für seine katholischen Glaubensbrüder ein gutes Wort einlegen.
IRLAND: Bonner - Morris, McCarthy, O'Leary, Staunton Whelan, Brady (36. Townsend), McGrath, Galvin - Aldridge (75. Cascarino), Stapleton (75. Byrne)
BRD: Illgner (46. Aumann) - Augenthaler - Buchwald (46. Reinhardt), Pflügler , Reuter , Häßler, Möller, Dorfner (85. Fach), Olaf Thon, Littbarski, Wohlfarth
Tore: 1:0 Stapleton (10.), 1:1 Dorfner (33.)
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