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„Bremen ist mein Baby“

Der Daimler-Vize Niefer ist mit dem SPD-Senat des kleinsten Bundeslandes zufrieden / Der Umsatz der Autofabrik und der MBB-Werke ist weitaus höher als der Landeshaushalt  ■  Aus Bremen Dirk Asendorpf

Irgendwann nach Mitternacht, es muß so zwischen drei und vier Uhr morgens gewesen sein, nahm Werner Niefer, der Vize -Vorstandsvorsitzende der Daimler-Benz AG, den Bremer SPD -Chef Konrad Kunick mit vor die Tür. Als beide wiederkamen, hatte Niefer den Pullover Kunicks an, Kunick denjenigen Niefers. „Der wollte unbedingt meinen roten Pullover haben“, erklärte der SPD-Vorsitzende der feiernden Runde aus Bremer Senatoren und Stuttgarter Konzernchefs in der Bonner „Kajüte“. Was damals vor der Tür geredet wurde, ist nicht bekannt. Sicher ist aber, daß am Ende der munteren Nacht der Entschluß feststand: Daimler kommt nach Bremen.

Das war 1978, die Wirtschaft des kleinsten Bundeslandes war mitten in der Werftenkrise. „Arbeit für 15.000 - Wir holen Mercedes nach Bremen“, jubelte Bürgermeister Hans Koschnick denn auch wenige Tage nach der entscheidenden Nacht in der SPD-Wahlkampfzeitung und versprach einige hundert Millionen Mark öffentlicher Gelder für die Infrastruktur. Kritik aus der eigenen Partei und von den gerade gegründeten Grünen, die sich gegen die Vertreibung von 400 Kleingärtnern zugunsten des eine Million Quadratmeter großen Auto-Werks stark machten, begegnete der Bürgermeister persönlich: „Bremen braucht jeden Arbeitsplatz.“

Heute, zehn Jahre später, ist Daimler tatsächlich mit über 14.000 Arbeitspätzen Bremens größter Betrieb. Fünf Prozent des Bruttosozialprodukts werden hier erwirtschaftet, über 250 Millionen Mark Steuer fließen jährlich ins Staatssäckel. „Was wäre Bremen heute ohne Daimler?“ fragte denn auch Dr. -Ing.Dr.h.c.Werner Niefer Ende letzten Jahres eine Bremer Journalistengruppe bei der Werksbesichtigung in Untertürkheim.

Kniefall der Uni

Auch Niefer selber wäre ohne die Bremer Daimler -Niederlassung um etwas kürzer - um das „Dr.honoris causa“ vor seinem Namen. Ein „Symbol des Wandels unserer Universität“ nannte Bremens Uni-Rektor Timm im März 1988 in seiner Laudatio die Verleihung der gerade erst eingeführten „Ehrendoktorwürde“, die der Daimler-Vize als erster bekam. Tatsächlich war die einst linke Reform-Uni damit weit über den eigenen Schatten gesprungen. Erst bei einer persönlichen Einladung ins Rathaus konnte die entscheidende Professorenstimme für den von der Daimler-Chefetage selbst vorgeschlagenen Ehrendoktor gewonnen werden.

Bereits bei der Gründung des neuen Studiengangs „Produktionstechnik“ hatte Daimler beim Senator schriftlich ein „maßgebliches Mitspracherecht“ gefordert. In der Laudatio wurde Niefer dies als besonderes „Verdienst um die Bremer Universität“ angerechnet. Im „Spätkapitalismus, nur noch wenige schreiben ihn ohne 'h'“, sei wirtschaftlicher Erfolg schließlich „nur noch in enger Kooperation mit den Wissenschaften möglich“, begründete Rektor Timm den Kniefall der Uni vor dem Wirtschaftsboß.

Als sauberes und modernes High-Tech-Unternehmen präsentierte sich Daimler in Bremen bereits 1984 am ersten „Tag der offen Tür“, als die Feldküchen des Roten Kreuzes aus ganz Norddeutschland zusammengezogen werden mußten, um 40.000 BesucherInnen mit kostenloser Erbsensuppe zu verpflegen. Roboter steht an Roboter, sie schweißen, lackieren und montieren - leise, sauber und fast geruchsfrei. Doch nicht jeder steht auf dieser Schokoladenseite des Autobauens: Nachts zwischen 22 und 6 Uhr ziehen türkische Aushilfskräfte in Putzkolonnen durch die Hallen. Leiharbeitsfirmen zahlen ihnen 10 Mark die Stunde, ungeschützter Umgang mit ätzenden und krebserregenden Reinigungsmitteln inclusive. Als sich 58 von ihnen zusammenschlossen und per Unterschriftenliste Schutzmaßnahmen und Gefahrenzulagen forderten, sagte der zuständige Meister lapidar: „Na gut, ich werf Euch alle raus. Draußen gibt es genug Arbeitslose, die für 50 Mark am Tag arbeiten.“

Tatsächlich hat Daimler den steilen Anstieg der Bremer Arbeitslosigkeit nicht verhindert. Trotz 14.000 neuer Arbeitsplätze sank deren Gesamtzahl in Bremen seit 1988 um sechs Prozent, während sie im Bundesdurchschnitt um 1,5 Prozent stieg. Und von den neuen Arbeitsplätzen in der Mercedes-Sportwagenproduktion profitieren Bremens 50.000 Arbeitslose kaum: Die Hälfte der Neueingestellten wurde im niedersächsischen Umland angeworben.

Daimler sucht nur

„ehrbare Berufe“

Im Umkreis von 50 Kilometern sucht Daimler Facharbeiter „und andere ehrbare Berufe wie Bäcker oder Metzger“. Mit arbeitslosen Werftarbeitern habe man schlechte Erfahrungen gemacht, meint Vorstandsmitglied Hubbert: „Die sind es gewohnt, zwei Stunden hart zu arbeiten, um dann eine Stunde in die Weser zu spucken.“

Doch Bremens Regierungspolitiker fühlen sich gegenüber dem Wirtschaftsriesen wie der Schwanz, der mit dem Hund wedeln will. Gewerbeflächen, Straßenneubauten und Qualifizierung von Arbeitskräten werden nicht für Daimler geplant, sondern von Daimler gefordert. Und als MBB für den Abtransport der in Bremen produzierten Flügel des neuen Airbus 400 nach einer verlängerten Startbahn verlangte, setzte der Senat im Schnellverfahren und mit Geldgeschenken an die lärmgeplagten Anwohner die Flughafenerweiterung durch. „Wirtschaftliche Macht ist politische Macht, das spürt man in Bremen“, sagt einer, der es wissen muß: Bürgermeister Klaus Wedemeier. Er sitzt zugleich im Aufsichtsrat des neuen Daimler-Kindes MBB. Zusammen beschäftigen die beiden Konzerne in Bremen knapp 20.000 Menschen, halbsoviel wie der gesamte öffentliche Dienst. Ihr Umsatz ist dabei weit höher als der gesamte Staatshaushalt. Die MBB-Werke am Bremer Flughafen hängen dabei zum größten Teil am Tropf aus Bonn: Hier wird am hochsubventionierten Airbus gebaut, der größte Stolz der Stadt ist das Weltraumlabor Spacelab, für das der Bremer MBB -Raumfahrtableger Erno verantwortlich zeichnete, und auch die Euro-Rakete Ariane bezieht eines ihrer Mittelstücke aus der armen Stadt an der Unterweser.

Auf die Frage nach einer Entscheidung, die Bremen gegen den Willen der Daimler-Chefs durchgesetzt hat, fällt Bürgermeister Wedemeier nur das Tempo 120 auf der Bremer Stadtautobahn ein. Das hält Werkschef Schreck tatsächlich für eine „völlig falsche Entscheidung“, findet ansonsten aber, daß „wir gut mit dem Bremer Senat auskommen, natürlich - wenn wir das verschweigen würden, wären wir Heuchler - aus der Position der Stärke heraus“. Der schwäbische Daimler -Vize Dr.h.c.Werner Niefer sagt es knapper: „Bremen ist mein Baby.“

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