: Türkei verbannt Kurden aus ihrer Heimat
Der Rechtsanwalt Zübeyir Aydar mußte binnen 48 Stunden Kurdistan verlassen / Er hatte Kurden, die von Militärs mißhandelt werden, verteidigt / Bereits acht Kurden aus der Region verbannt / Nach Protesten der Opposition von weiteren Verbannungen abgesehen ■ Aus Istanbul Ömer Erzeren
Erstmalig seit der Verhängung des Ausnahmezustandes in den kurdischen Provinzen der Türkei sind dort beheimatete Menschen aus der Region verbannt worden. Mindestens acht Personen sind in den vergangenen Tagen zur Polizeiwache zitiert worden, wo sie den Verbannungsbefehl der Präfektur quittieren mußten. Nach dem Gesetz über das Ausnahmerecht ist es in das Belieben der Ausnahmerechtsverwaltung gestellt, Personen wegen „Auflehnung gegen die öffentliche Ordnung“ zu verbannen. Binnen 48 Stunden müssen die Betroffenen die Region verlassen.
Prominentestes Opfer ist der Rechtsanwalt Zübeyir Aydar. Seit langem war Aydar den Behörden ein Dorn im Auge. Vom Militär gefolterte Kurden suchten Zuflucht und Rat in seinem Anwaltsbüro. In Hunderten Fällen erstattete er Strafanzeige gegen rechtswidrige Praktiken der Militärs. Zusammen mit seiner Ehefrau Evin Aydar, einer Journalistin, führte er einen unerbittlichen Kampf gegen Menschenrechtsverletzungen.
Wann immer ein Skandal über die grausame Kriegsführung der türkischen Armee gegen kurdische Guerilla und Zivilbevölkerung bekannt wurde - das Ehepaar Aydar hatte recherchiert. Es folgten Presseberichte in den türkischen Medien, und Strafverfahren wurden eingeleitet. Es war das Ehepaar Aydar, das aufdeckte, daß Dutzende namenloser Leichen getöteter Guerillas von Militär in den Metgerfluß bei der Stadt Siirt geworfen wurden. Rechtsanwalt Aydar war es auch, der jüngst den Mord an Osman Esindemir publik machte. Er wurde nach Aussagen der Dorfbewohner von Militär und Dorfmilizen getötet. Obwohl die mit einem Beil zerstückelte Leiche gefunden wurde, versuchten die offiziellen Stellen, den Fall zu verdunkeln. Erst nachdem sich Aydar des Falles annahm, wurde ein Strafverfahren eingeleitet.
Die parlamentarische Opposition, Anwaltskammer und Menschenrechtsorganisationen protestierten gegen die neue Verbannungspraxis. „Beschämend und primitiv“, befand der Generalsekretär der „Sozialdemokratischen Volkspartei“ Deniz Baykal. Nach öffentlichen Protesten hat das Innenministerium die Präfekte angewiesen, vorläufig von weiteren Verbannungsverfügungen abzusehen.
Von den türkischen Militärs ist der entscheidende Kampf gegen die kurdische Guerilla PKK angesagt. Unnachgiebigkeit gegen die Zivilbevölkerung ist zur Devise erhoben. Wälder werden verbrannt, der Einsatz von C-Waffen wird offen diskutiert. Zeugen sind nicht gefragt.
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