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Walesa will „everybodys darling“ sein

Ein glänzender Kommunikator zu Gast / „Gewisse Dinge müssen reifen“ / Diplomat, Unternehmer, Gewerkschafter  ■  Aus Düsseldorf Walter Jakobs

Irgendwann wird es einem Journalisten zu bunt: „Herr Walesa, Sie haben von einer erfolgreichen Reise gesprochen, gleichzeitig aber während Ihres Besuches immer wieder die Langsamkeit der Deutschen bei der Entwicklung neuer wirtschaftlicher Aktivitäten in Polen gerügt. Wie kriege ich das zusammen?“ Lech Walesa, auf seiner ersten großen Pressekonferenz am Donnerstag in Düsseldorf schon fast eine Stunde redend, lächelt verschmitzt und sagt dies: „Die ökonomischen Ergebnisse werden kommen, denn das ist die Logik der Dinge.“ Ganz gleich zu welchem Thema, Walesa weigert sich, Zensuren zu verteilen. Enttäuschung über die Reaktion der deutschen Wirtschaft mag er nicht zeigen: „Natürlich habe ich noch nicht viel in den Taschen, aber deshalb bin ich ja nicht gekommen.“ Er sei hier, um für „das eine Europa zu werben“, und er habe bei seinen Gesprächen bereits „mehr erledigt als ich gehofft habe“.

Walesa tritt als Werber auf, nicht als Kritiker. Es sei doch besser, „daß sie als Nachbarn uns helfen“, als darauf zu warten, „bis die Japaner ihre langen Verbindungswege gebaut haben“. Ganz ungeduldige Frager tröstet der begnadete Kommunikator so: „Vor meiner Abreise war ich auf einem großen polnischen Gut. Dort habe ich den Schweinen ins Ohr geflüstert, doch schneller zu wachsen, denn wir bräuchten sie, um sie zu verspeisen. Aber sie tun es nicht. Sie wachsen wie sie wachsen.“ Gewisse Dinge, sagt er wenig später, „müssen reifen“. Vision beschreibt er so: „Der Mensch des 21.Jahrhunderts wird Europäer sein, und da wird es nicht mehr so wichtig sein, ob jemand in Berlin oder Danzig leben will.“

Am Schluß wird Walesa gefragt, wie er Kanzler Kohls Abwesenheit am 1.September in Polen bewerte. Auch hier hält sich der Gewerkschafter zurück. „Ich bin gekommen, um Freunde zu gewinnen, nicht um mich in Ihre inneren Angelegenheiten einzumischen.“ Aber, so fährt er fort, „im Fernsehen habe ich immer Kanzler Kohl gesehen“. Dabei habe er bemerkt, wie beschäftigt der sei. Eine „Nachricht“ können die Journalisten zuguterletzt doch noch mitnehmen. Walesa will Kohl und Bundespräsident Weizsäcker nach Polen einladen.

Zum Schluß verteilt er dann doch noch eine Zensur. Der Besuch bei den Gewerkschaften habe ihn, so lobt Walesa den neben ihn sitzenden Ernst Breit, „am meisten befriedigt“. Breit hatte zuvor davor gewarnt, daß sich in der BRD „wirtschaftliche Kleinkrämerei und politischer Kleinmut durchsetzen“, während die Solidarnosc nicht nur die Verantwortung und die Risiken für den Demokratisierungsprozeß in Polen, sondern für „den realen Sozialismus überhaupt“ auf sich nehme.

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