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Irrtümlich „entartet“

■ Große Gerhard Marcks Retrospektive jetzt auch in Bremen

„Mit dem Bauhaus verband mich nur ein vorübergehendes Mißverständnis“, sagt Gerhard Marcks 1960 im Rückblick und versieht so seine aufregendste Schaffensperiode mit dem Stempel „Jugendsünde“. Ein Raum im Gerhard Marcks Haus ist dieser Zeit zwischen 1919 und 1923 gewidmet, als Marcks als einer der ersten „Formmeister“ am Bauhaus die Keramikausbildung betreute. Die stark expressionistisch und kubistisch geprägten Exponate, von denen sich Marcks indirekt distanziert, bedeuteten für sein Leben und die Rezeption seiner Kunst viel: Durch seine Bauhaus-Nähe geriet er mit einigen Skulpturen 1937 in die Münchener Ausstellung „Entartete Kunst“, obwohl er mit neueren Werken aus den Dreißiger Jahren auch bei den Nazi-Kunstwarten

beliebt war. Denn als sich mit Moholy-Nagy das Bauhaus der industriellen Produktion näherte, stieg Marcks aus und suchte sein Heil in den Vorbildern antiker Kunst. Heraus kamen zwar keine Strahlehelden Brekerschen Zuschnitts, aber die geheimnisvoll innigen Leidensfiguren der Nach-Bauhaus -Zeit rieben sich auch nicht mehr am verordneten Geschmack. Marcks‘ Oeuvre brachte die Nazis in Verlegenheit: seine „häßliche“ Kunst der Zwanziger machte ihn verdächtig, aber die faschistische Ästhetik war nicht so entwickelt, auch seine späteren Arbeiten denunzieren zu können. Das führte zu Ungleichzeitigkeiten: Acht Tage vor der Münchener Ausstellung wurde er in die Preußische Akademie der Künste berufen und bis Kriegsende teils ausgestellt, teils

verboten.

Hier bitte das Foto mit dem Mann als Plastik

Als Jugendlicher gehörte Marcks, 1889 geboren, zu denen, die singend in der Natur umherzogen und mit aller Inbrunst den fal

schen Neobarock der Wilhelm-II-Zeit ablehnten. Sie suchten ihr Heil nach Fichte im Naturmythos und waren politisch völkisch und rechts (Marcks 1980: „man würde heute sagen 'grün'“). Löwen, Falken und kleinere Figuren stammen aus dieser Zeit, aus Märchen und Mythen, nicht trivial, „klassisch“.

Durch Gropius bekam Marcks Kontakt mit der Berliner Avangarde und wagte neue Formen, kam zu überraschenden Ergebnissen wie dem ausgestellten „Osteraltärchen“, welches in überaus lustigen Farben und fröhlichem Gold von Tod und Auferstehung berichtet; den Auferstandenen stellt eine aus dem Relief geschnittene kubistische Hohlform dar.

Nach der Bauhauszeit unterrichtet Marcks Bildhauerei an einer traditionellen Schule in Halle/Saale. Seine Formen werden traditioneller, orientieren sich an Natur und antiken Vorbildern. Die Nazizeit schlägt sich in seinem Oeuvre nieder in gedrückten, nach innen gekehrten Figuren - z.B. „Trauernder Eros“, ein kummervoller Lockenjunge. Einem gefallenen Sohn setzt Marcks mit „Ver sacrum“ (Heiliger Frühling) ein mißverständliches Denkmal: er bekränzt ihn mit Lorbeer.

Mit 1945 endet der erste Teil der großen Marcks-Retro'die zuerst in Köln und Berlin gezeigt wurde und wegen Raummangels nicht ganz im Gerhard-Marcks-Haus unterzubringen war (die Hälfte der Exponate kann nur gezeigt werden). Die Einzelstücke stammen z.T. aus der DDR und den USA und sonst unzugänglichen Privathäusern, einige waren bislang unbekannt. Ein 386 Seiten starker Katalog versucht, den gegenwärtigen Forschungsstand zu skizzieren, gefällt sich überwiegend in der hermetischen Sprache der KunstgeschichtlerInnen und ist voller aufwendiger Abbildungen. Der erste Teil der Retro dauert bis zum 5.November und wird am Sonntag um 11.30 Uhr eröffnet. Bu

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