piwik no script img

Wieviel Männergewalt bringt Sicherungsverwahrung?

■ Zweiter Tag im Prozeß gegen den Mann, der sein Leben in Knästen verbrachte und zum letzten Mal im März in den Wallanlagen vergewaltigte

Gerichtsbekannt sind fünf Fälle, in denen Hans H. Frauen mißhandelte, zur Prostitution zwang, nötigte, vergewaltigte. Gerichtsbekannt sind weitere neun Fälle, in denen er wegen Eigentumsdelikten vor Gericht stand. Gestern befaßte sich eine Strafkammer des Landgerichts mit der Frage, ob der alkoholkranke Stadtstreicher Hans H. jetzt für den Rest seines Lebens „sicherungsverwahrt“ und vor der „Allgemeinheit geschützt“ werden soll. Während am ersten Prozeßtag H.s letzte Tat und sein 15jährige Opfer Corinna F. im Mittelpunkt standen („Vergewaltigung in den Wallanlagen“ - taz vom 7.9.89), saß gestern der Täter als Opfer auf der

Anklagebank, als Opfer von Pflegeeltern, Jugendamt und Justiz.

Gutachter Dr. Axel Titgemeyer, der nicht zum erstenmal H. vor Gericht zu analysieren hatte, teilte das 39jährige Leben des Angeklagten in fünf übersichtliche Abschnitte ein: Die ersten elf Lebensjahre bei den Pflegeeltern, die nächsten sieben in Kinder- und Jugendheimen, elf weitere Jahre in Haft und vier in der Psychiatrie. „Es bleiben sechs Jahre, die er draußen eigenbestimmt leben konnte.“ Er bescheinigte H. eine „fehlende Sozialisation“, „mangelndes Urvertrauen“ und „mangelnde Bedürfnisbefriedigung“: Das Kind H. hatte seine leiblichen Eltern

nicht gekannt, war vom Jugendamt in eine Pflegefamilie gegeben worden, in der der erwerbstätige Vater sich nicht viel um es kümmerte und die Pflegemutter eine äußerst ambivalente Haltung gegenüber dem Kind zeigte. „Mal war ich ihr ein und alles, mal war ich der Sündenbock“, erinnerte sich der Angeklagte. Den Rest seiner Kindheit und Jugend verbrachte er in Delmenhorster Heimen. Besuch war nur einmal pro Monat erlaubt, sexuelle Kontakte zu einem gleichaltrigen Jungen führte dazu, daß er das gestreng-prüde Heim wechseln mußte. Nach seiner Entlassung aus dem zweiten Heim durfte er nicht bei seiner Großmutter leben, dem für ihn wichtigsten Menschen, sondern das Jugendamt quartierte ihn während seiner Ausbildung bei der Bundespost bei einer „Postfamilie“ ein. Weitere Verbringungen schlossen sich an, schließlich das gefürchtete Jugendheim „Fuchsberg“ bei Göttingen und

der Jugendknast in Vechta.

1982 hatte ein Bremer Gericht verfügt, daß Hans H. in eine Bremer Suchtklinik eingewiesen wurde. Die damaligen gesetzlichen Regelungen hatten jedoch zur Folge, daß H. vier Jahre in dieser Einrichtung zubringen mußte, obwohl bereits nach einem Jahr „Bremen-Ost“ feststand, daß die Therapie gescheitert war. Immer wieder war H. „entwichen“, und im Pennermilieu am Hauptbahnhof wieder aufgegriffen worden. Da er während einer der insgesamt neunzehn „Entweichungen“ brutal über eine Frau hergefallen war, schloß sich an die psychiatrische Unterbringung in „Bremen-Ost“ nahtlos wieder der Knast in Bremen-Oslebshausen an.

Psychiater Dr. Titgemeyer: „Wir haben erkennen müssen, daß wir nicht die richtige Einrichtung für ihn waren.“ Er sprach sich trotzdem dafür aus, für H. eine Alternative zur Sicherungs

verwahrung zu suchen: „Die Rückfallwahrscheinlichkeit ist hoch und die einzige Möglichkeit besteht darin, ihn auf eine 'sozialtherapeutische Schiene‘ zu setzen; es zu versuchen, ohne den festen Zwangsrahmen der Forensik; ihn über ein Übergangswohnheim laufen lassen, betreut vom sozial -psychiatrischen Dienst; ihn an Bezugspersonen anbinden; die Entlassung gründlich vorbereiten.“

Das Aufzeigen dieser letzten Alternative machte auch klar, daß die Justiz mit ihren 14 bisherigen Schuldsprüchen und Strafmaßen sowie mit ihrer mangelhaften Entlassungsvorbereitung und ungenügenden Bewährungshilfe an H. versagt hatte. Das Gericht unter Vorsitz des Richters Karlgeorg Bohlmann wird erst am kommenden Mittwoch entscheiden. Die Strafkammer widmet sich dem Verfahren mit großer Geduld. Das ausführliche Befassen mit der Psyche des Angeklag

ten macht allerdings schmerzlich bewußt, daß von den RichterInnen niemand die traumatischen Folgen der Vergewaltigung für das Opfer thematisierte.

Offen ist bis Mittwoch auch noch, wie die neue Sonderstaatsanwältin für Vergewaltigungsdelikte, Claudia Traub, plädieren wird. Verteidiger Erich Joester dagegen machte bereits deutlich, daß er seinen Mandanten nicht für so „gefährlich“ halte, daß „Sicherungsverwahrung“ anzuordnen sei. Die sei angemessen für Täter, die weit mehr Vergewaltigungen oder gar Morde und Mordversuche auf dem Gewissen hätten. Verteidiger Joester schien sich jedoch auch darüber im klaren, daß von seinem Mandanten - wieder in Freiheit - mit gewisser Wahrscheinlichkeit erneut Vergewaltigungen zu erwarten sind: „Wenn wir hier etwas falsch machen - dann haben wir ein weiteres Opfer, daß nicht Karstadt heißt“.

Barbara Debus

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen