OHNE TITEL

■ Ausstellung „Schöne Zeiten“ in der Akademie der Künste

Hinter den wenigen Steilwänden, die dicht gedrängt in einer Ecke des Foyers der Akademie der Künste stehen, ist es zum Schreien. Aber es geht nicht. Der Hals ist wie zugeschnürt. Irgendwie will man raus aus dem beklemmenden Irrgarten. Auch das geht nicht. Der Kopf bleibt eingezwängt. Wohin mit den Bildern, die jetzt immer wieder auftauchen?

Nichts an der kleinen Ausstellung ist spekulativ, sensationell. Nichts ist inszeniert, alles ist dokumentarisch, beinahe spröde: ein paar Vergrößerungen einiger alter Photos, Protokollauszüge und kurze Statistiken, knappe Zitate aus Briefen, Orts- und Zeitangaben. Es ist immer dasselbe Bild, könnte man meinen. Abgegriffen und rissig ist es, mit dem weißen unregelmäßigen Zickzackrand und mit Feldgrauen, Kurzgeschorenen bevölkert, die vor Gräbern stehen, in denen Menschen liegen. Polnische und russische Schilder ab und zu. Militärs sind es, mal in der Aufsicht oder ganz nah, ein Portrait, das aus dem Hintergrund geholt scheint, schnell und unprofessionell geknipst, ohne Anteilnahme und ohne Gefühl, immer das gleiche Szenario, die gleichen Personen. Immer der gleiche gemeine Mord?

„Schöne Zeiten“ steht als Überschrift im privaten Photoalbum von Kurt Franz, stellvertretender Kommandant im Konzentrationslager Treblinka. Zweimal unterstrichen, exakt und ordentlich. Darunter Franz im SS-Wichs, herrisch die Arme in die Hüften gestemmt, mit Bruder und Obersturmbannführer Stangl, daneben der Bahnhof Treblinka. Wie Urlaubsbilder. Niederträchtiges Grinsen. Blanker Zynismus. Zwischen Aufnahmen aus dem „Lagerzoo“ der Köter „Barry“, den Franz mit den Worten „Mensch, faß den Hund!“ auf jüdische Häftlinge hetzte und totbeißen ließ. Es grüßen saufende Freunde in das Objektiv, alles Massenmörder. Es sind Bilder für daheim, öffentlich zum Prahlen und Erinnern ohne Scham. Damals, weißt Du noch, als... Franz, genannt „die Puppe“, hat sie bis 1959 unbehelligt herumzeigen können.

„Schöne Zeiten“ ist die Gemeinheit auf Zelloloid, weil vor der Linse sich dieselbe abgespielt hat: ein stetes Gedächtnis ohne Gebot, voller Mordschnappschüsse in immer derselben Abfolge. Fasziniert sind die Täter vom Schauplatz für ihre Opfer. Ihnen haben sie aufgelauert. Auf der leeren Straße werden plötzlich Menschen abgeführt. Auf dem leeren Platz liegen plötzlich Hunderte auf dem Boden. Eine schattige Talsenke wird Massengrab. Ort, Zeit und Handlung sind in ihrer Gewalt. Dann dringen sie auf die Menschen ein, rauben ihnen den letzten Hauch von Intimität. Immer werden Frauen und Männer beim Entkleiden photographiert, immer photographiert, wenn sie nackt zur Grube getrieben werden, immer photographiert, wenn sie ermordet werden und dann ganz nah. Da ist nichts Geheimes oder Verborgenes mehr, kein genierlicher Voyeurismus mehr, sondern nur offene Verachtung, Mordlust und Sadismus. Daneben stehen die Totschläger, auf Holzprügel und Gewehrkolben gestützt in Heldenpose. Selbstinszeniert als brutale Herrenmenschen grinsen sie sich und ihre Opfer im Kameraspiegel an, mit Peitschen in der Hand, von denen das Blut tropft. Wie befriedigt springen die Bilder von den Gräbern zurück, distanzieren sich, wie nach getaner Arbeit. Leblos. Nur die Masse der Toten interessiert. Ganz im Hintergrund führt einer Strichlisten. Dann hocken die Mörder wieder beisammen, mit eifrigen und glühenden Gesichtern, rauchen, trinken Schnaps und spielen Ziehharmonika. Einer dichtet: „Frohsinn, Laune in schwerster Zeit, / wie machtet Ihr unsere Herzen weit.“ Ein anderer schreibt: „Liebe Mutti, liebe Kinder... Juden gibt es hier nicht mehr.“

„Schöne Zeiten“ ist der Normalfall. Erst nebenbei geknipst, vor Kriegsschauplätzen im Osten, neben Deportationen, dann täglich, immer wieder, immer unverforener, immer menschenverachtender. Alles geht. Nichts hält sie mehr. Morgens vor der Baracke beim Kaffeetrinken das ernste Gesicht, mittags schon fröhlicher beim Erschlagen. Ins Photoalbum kleben die „fröhlichen Massenmörder“ (Ernst Klee) sich und ihre Zuschauer ein, ziehen feine Linien wie Rahmen um die Aufnahmen, als wären diese kunstvoll. Liebevoll scheinen die Bilder arrangiert, gegeneinander gesetzt, getreppt wie die Leichenberge, die auf ihnen zu sehen sind. Die Mörder stehen nicht da wie tollwütige Bestien, obwohl sie es sind, eher ruhig, etwas erschöpft vom Totschießen, gucken so, als wüßten sie nicht, was sie tun tagtäglich. Dann lachen sie wieder. Gehen wieder an die „Arbeit“.

„Schöne Zeiten“ dokumentiert eine Verkommenheit ohne Ende, eine Zufriedenheit der Spießgesellen vor und hinter der Kamera, weil alle Täter sind. Authentisch sind hier nicht allein die Bilder, zutage tritt auch ein Photograph ohne Gewissen, dessen „Stil“ bestimmt wird durch das Fehlen jeglicher psychischer Barriere, der sich mit dem Apparat rächt, eiskalt ist und nicht mit der Wimper zuckt, und für den Photos „schießen“ dasselbe bedeutet wie Menschen abschlachten.

„Schöne Zeiten“ ist aber auch der Beweis, daß alle dabei waren, Täter und Helfer, Täter und Gaffer. „Erschießungstourismus“ steht auf der Stellwand: auf dem Bild sieht man, wie sie sich drängeln, gucken wollen, auf Bäume und Dächer klettern. Und der private Charakter der Bilder war nicht nur für die Heimlichkeit daheim, sondern öffentlich: gnadenlos, schrecklich, brutal, so wollten sie sein, nicht anders. Die Legende, der Bevölkerung sei es verschwiegen worden, die Wehrmacht ahnungslos geblieben, und die Waffen-SS sei „nur eine kämpfende Truppe gewesen“ (Ex -Werwolf Jonny Klein) zerplatzt mit dem mitleidslosen Bild, das der Landser aus seiner eigenen Feldjacke zieht. Es macht nur sprachlos: Bericht eines Soldaten vom Massaker in Paneriai/Litauen (1941) “...Von meinem Standplatz aus (...) machte ich sodann zwischen meinen Kameraden hindurch eine Aufnahme von einem Teil des Grabens mit den darin befindlichen Juden (Bild1). Ich sah dann, wie zunächst 10 Juden aus dem Graben herausgeführt wurden und zwar so, daß ein Angehöriger der Bewachung einen Knüppel seitlich ausgestreckt hielt, woran sich der erste mit beiden Händen festhalten mußte. Die anderen neun gingen hintereinander gebückt und hielten sich mit den Händen am Vordermann fest, denn sie sahen ja nichts. Der Wachmann führte diese zehn Juden zum Weg, wo sie die steile Böschung hinunterrutschten. Ein Teil stürzte dabei hin. Auf dem Grund der Grube mußten sie sich wieder wie vorher formieren und wurden an die ostwärtige halbrunde Böschung geführt. Diese Situation photographierte ich wieder von meinem Standplatz (Bild 2)...“ „Summa 137 346“ heißt es später an anderer Stelle.

rola

„Schöne Zeiten“ bis zum 1.Oktober in der Akademie der Künste von 14 bis 19Uhr, Eintritt frei. Die Ausstellung begleitet eine Dokumentation: „Schöne Zeiten - Judenmord aus der Sicht der Täter und Gaffer“ hrsg. von Ernst Klee u.a., Frankfurt 1988, 29,80Mark. In der Gesprächsreihe zur Ausstellung hält Prof. Dr. Wolfgang Wippermann (FU Berlin) am Sonntag um 11 Uhr den Vortrag: „Der zweite Weltkrieg - Der erste Rassenkrieg“.