Die tägliche Wochenzeitung

■ In Italien florieren die Tageszeitungen. Ihr neues Outfit schnappt den Politmagazinen die Käufer weg

An der Qualität unserer Magazine“, brummt Chefredakteur Giovanni Valentino von 'L'Espresso‘, „kann's wirklich nicht liegen: Alle Umfragewerte sind hervorragend.“ Sein Kollege Claudio Rinaldi von 'Panorama‘ sieht eine der „abstrusesten Entwicklungen des italienischen Pressewesens“ ablaufen; bei 'Epoca!‘, wo Alberto Statera kommandiert, kann man sich „sowieso schon lange keinen Reim mehr auf diese Tendenzen“ machen: Die Rede ist vom verzweifelten Kampf der großen politischen Wochenschriften (wozu auch noch 'L'Europeo‘ und 'Il Mondo‘ zählen) um Auflagensteigerung, die einfach nicht glücken will. 'Panorama‘ peilt seit Jahren die Millionengrenze an, dümpelt aber noch immer bei 850.000 herum. 'L'Espresso‘ hofft janrelang auf die halbe Million, muß sich aber mit kärglichen 350.000 abfinden; auch alle anderen liegen weit unter ihrem selbstgesteckten Ziel einer Viertel- bis Drittelmillion. Und manch eine fühlt bereits den Pleitegeier nahen.

Dabei ist, wie 'L'Espresso‘ zu Recht anmerkt, das Vertrauen der Italiener auch nach den neuesten Umfrageergebnissen des ISPES-Instituts ungebrochen: Auf der Vertrauenswerte-Skala von 10 Punkten (10 volles, 0 keinerlei Vertrauen) rangieren die Politmagazine mit 6,3 weit vor der Tagespresse mit 5,7, dem staatlichen Fernsehen RAI mit 5,3, den Privatkanälen mit 4,4 und den Boulevard- und Parteimedien mit 3,6 Punkten. Auch die in den Magazinen gesuchte Information (35 Prozent Innenpolitik, 18 Prozent aktuelle Berichte, 17 Prozent Wirtschaft, neun Prozent Kultur, acht Prozent Außenpolitik und sechs Prozent Kommentare) entspricht weitgehend dem Angebot.

Daß es in der Branche trotzdem bedenklich kriselt und neuerdings zu Recht riskanten Konzentrationen - wie die Zusammenführung der beiden Marktführer 'Panorama‘ und 'L'Espresso‘ unter dem Dach des von Olivetti-Chef Carlo De Benedetti kontrollierten Mondadori-Verlags - geführt hat, liegt nach Meinung der meisten Marktforscher an einer neuen Tendenz, mit der Tageszeitungen ihre Konkurrenzkämpfe untereinander - ursprünglich also keineswegs gegen die Wochenschriften - ausfechten: Immer mehr Blätter - oft auch solche aus demselben Konzern wie die gebeutelten Magazine selbst - bemächtigen sich des ursprünglich von den Wochenschriften besetzten Terrains. Musterbeispiel: Die Tageszeitung 'Il Manifesto‘, mit einer Auflage von nur gut 40.000 Exemplaren, hat seine frühere literarische Sonntagsbeilage 'Il domenicale‘ zu einer regelrechten Wochenschrift ausgebaut; und neuerdings hat auch die industrienahe 'La Stampa‘ aus Fiat-Agnellis persönlichem Besitz (150.000 Auflage) nachgezogen, dem dahinterstehenden Kapital entsprechend natürlich gleich auf Anhieb flächendeckend: Außer mit dem nunmehr kleineren, handlicheren Format (in etwa der taz entsprechend, wie bereits 'La Repubblica‘ und 'Paese sera‘) wirbt die Zeitung nun mit einer ganzen Flut unentgeltlicher Beilagen: Täglich wird schon mal 'Societa & cultura‘ mitgeliefert, vollgestopft mit Reportagen, Kommmentaren, Untersuchungen, Kulturberichten. Am Dienstag kommt 'Tuttocome‘ hinzu, ein Ratgeber vom Make-up bis zum Sport; am Mittwoch 'Tuttoscienze‘, das Wissenschaftsmagazin, am Donnerstag 'Tuttodove‘, der Wochenend-Veranstaltungs- und Reiseführer; am Samstag das Büchermagazin 'Tuttolibri‘. Gegen solch geballte Macht nimmt sich der Versuch von der anderen Seite, beim PCI-Parteiblatt 'L'Unita‘ (ca. 180.000 Auflage), auch etwas Neues zu bieten, geradezu rührend aus: Er beschränkt sich, außer auf die montägliche Satirebeilage 'Cuore‘, auf eine dünne Bürgerrechtsbeilage namens 'Salvagente‘ („Rettungsgürtel“). Doch das „Wunder“ geschah: Auch 'L'Unita‘ vermeldet Auflagensteigerung; und das scheint nun manchem der Beweis, daß das größere Leserinteresse für Tageszeitungen keineswegs ausschließlich von der Beilagen -Manie kommt. „Das abnehmende Interesse für die angestammten Wochenmagazine“, vermutet der Politologe Giorgio Galli, selbst Kolumnenschreiber in 'Panorama‘, „kommt wohl eher von dem immer stärkeren Aneinanderrücken der Magazine, den von allen gleichzeitig und oft auch gleich behandelten Themen. Es fehlt einfach die Dialektik zwischen ihnen, die Spannung, wie sie die verschiedenen Standpunkte der Tageszeitungen dagegen stets bieten.“

Daß es an Vielfalt fehlt, ist allerdings kein Wunder - zwei Drittel des Marktes werden ja aus einem einzigen Hause (Mondadori) gedeckt. Und außerdem ist Magazinen bisher auch nichts Rechtes eingefallen, um das verlorene Terrain wiederzugewinnen. Einige Artikel über die - tatsächliche Unglaubwürdigkeit selbst besonders geschätzter Blätter wie 'La Repubblica‘ und 'Corriere della Sera‘ mit ihren oft schlampigen Berichten wirkten aus Magazinmacher-Mund eher säuerlich: Die nunmehr fast jeder Nummer beigelegten Sonderhefte (etwa 'Expressopiu‘) zum Sport, zur Mode, zur Körperpflege können allenfalls der direkten Magazin -Konkurrenz den einen oder anderen Leser abspenstig machen, sprechen aber keine neuen und auch keine verlorenen alten Leserschichten an. Wahrscheinlich wird nun das Rezept helfen, das Medienexperten wie Raimondo Boggia von der Public-Relations-Agentur GFP & Co in Mailand aufgrund von Langzeituntersuchungen empfehlen: nicht mit der Tagespresse konkurrieren nach dem Motto „Wir berichten auch über alles“, sondern gerade die Distanz dazu: weniger Artikel als bisher, aber gut vertieft, mit viel mehr Hintergrundinformationen und historischen Daten versehen - genau das, was die Gazetten schon wegen der notwendigen Schnellschreiberei und auch aus Mangel an qualifizierten Hintergrundjournalisten nicht leisten können. Das aber würde das Schlachten einer heiligen Kuh des italienischen Magazin-Journalismus bedeuten - die Tendenz, die redaktionellen Teile in geradezu grotesk viele Mini-Artikel, Zwanzigzeilen-Nachrichten und -Rezensionen aufzuspalten. Im Kulturteil, der Wissenschaft, den Umwelt-, aber zunehmend auch auf den Wirtschaftsseiten und in der Politik nehmen solche Spots mitunter schon fast zwei Drittel des Raumes ein.

Doch das System läßt sich nur schwer abschaffen, dient es doch vor allem der Befriedigung der „Klientel“ der einzelnen Redakteure - die nämlich fühlen sich nur dann bedeutend, wenn sie alle berühmten Persönlichkeiten ihres Ressorts in möglichst jeder Nummer zitieren, kommentieren, zumindest einmal nennen können. „Wahrscheinlich“, so vermutet Boggia, „muß es denen noch bedeutend schlechter gehen, bis sie dort abspecken, wo sowieso nur faules Fleisch sitzt.“

Werner Raith