piwik no script img

„Ihr wurdet ja noch nicht mal gefoltert“

Erster Prozeßtag gegen elf Türkinnen / Sie waren bei einer Solidaritätsaktion im Hungerstreik festgenommen worden  ■  Aus Istanbul Ömer Erzeren

Drei Polizisten auf Streife haben die Geschehnisse im Istanbuler Stadtteil Beyoglu am 10.August genauestens beobachtet. Wohlgeordnet finden sich diese Beobachtungen in der Anklageschrift des Staatsanwalts. Demnach sammelte sich eine Gruppe von 40 bis 50 Frauen - ganz in schwarz gekleidet - auf dem Bürgersteig gegenüber des Lyzeums Galatasaray. Schwarze, unbeschriftete Papierfetzen in den Ausmaßen zehn mal 15 Zentimeter - nunmehr Beweisstücke der Anklage wurden in die Luft geworfen. Daraufhin klatschten die Frauen. Der Verkehrsfluß wurde für drei Minuten behindert. „Als wir rübergingen, löste sich die Versammlung auf. Da wir nur zu dritt waren, konnten wir nur elf Frauen festnehmen“, sagt Wachtmeister Saadettin Cakmak vom Revier Beyoglu.

Die Festgenommenen: bekannte Mitglieder der türkischen Frauenbewegung; Mitarbeiterinnen der feministischen Zeitschriften 'Kaktus‘ und 'Feminist‘, des Frauenverbandes gegen Diskriminierung, des Frauenkulturhauses und der „Frauenkommission des Vereins für Menschenrechte“. Mit ihrer Aktion wollten die Frauen gegen die barbarische Behandlung der hungerstreikenden politischen Gefangenen im Gefängnis Aydin protestieren. Es war der 42.Tag des Hungerstreiks. Sieben Tage zuvor waren die hungerstreikenden Gefangenen Hüseyin Hüsnü Eroglu und Mehmet Yalcinkaya zu Tode geprügelt worden. Ein Akt von Solidarität, für den die Frauen mit 28tägiger Untersuchungshaft gebüßt haben. Nun fordert der Staatsanwalt wegen „Durchführung einer illegalen Kundgebung“ Gefängnisstrafen zwischen eineinhalb und drei Jahren.

Auflauf vor dem Strafgericht Beyoglu am vergangenen Donnerstag. Durch das Gedränge in den Korridoren führen Gendarmen die Frauen in den Gerichtssaal. Junge, gebräunte Burschen mit ernster Miene in staubigen, grünen Uniformen. Zwischen ihnen - in Handschellen - die bunt gekleideten elf, darunter Gülnur Savran, Filiz Karakus Ayse Düzkan mit einem großen lila Frauenzeichen auf dem T-Shirt. Hunderte Zuschauer haben sich eingefunden. Nur wenige Dutzend werden in den Gerichtssaal eingelassen. Winken, Beifall, optimistische Stimmung auf den Korridoren. Politische Prozesse sind für die Justiz in Beyoglu etwas Außergewöhnliches. Selbst das Kamerateam des ZDF hat sich eingefunden.

„Philosophin und Autorin“ beantwortet Gülnur Savran, Doktorin, ehemals Dozentin an der Universität Istanbul, die richterliche Frage nach dem Beruf. Der Richter sucht nach Worten, daß auch jedem im Gerichtssaal auch sein Respekt vor den Angeklagten sichtbar werde. Zuweilen wirkt sein Bemühen lächerlich. „Wir Frauen haben uns aus Protest gegen die Haftbedingungen an diesem Tag schwarz angezogen“, sagt Savran. „Die Damen kleideten sich aus Protest gegen die Haftbedingungen am 10.August schwarz“, gibt der Richter zu Protokoll. „Ich bin eine Frau, ich weiß um die Unterdrückung der Frau auf allen gesellschaftlichen Ebenen, ich weiß um die Gewalt gegen Frauen. Weil wir selbst Unterdrückte sind, ist Solidarität mit anderen Unterdrückten geboten“, berichtet Savran. „Deshalb haben wir gegen die Haftbedinungen in den Gefängnissen protestiert. Die Legalisierung der Repression in den Gefängnissen hat Tote zur Folge gehabt.“ Richter Ahmet Yavuz Yildirim liebt das Detail. „Demonstrierten Sie aus einer feministischen Grundhaltung heraus oder aus Protest gegen Menschenrechtsverletzungen?“

Die Mehrzahl der Frauen begab sich freiwillig ins Polizeiauto, um festgenommene Freundinnen nicht allein zu lassen. „Erfolgte Widerstand gegen die Festnahme?“, fragt der Richter den Polizisten Ismail Hakki Yol im Zeugenstand. „Ich hatte per Funk den Befehl, sie festzunehmen. Sie sagten uns, daß sie nicht mitkommen wollten.“ Gelächter im Saal. Richter Yildirim droht, den Saal zu räumen, und stellt klar: „Dies ist ein Prozeß und keine Komödie. Der Zeuge ist Beamter und dieses hier ist ein Gericht.“

Der Prozeß wird auf den 19.Oktober vertagt. Dem Ersuchen der Rechtsanwälte nach Aufhebung der Untersuchungshaft wird gegen Hinterlegung einer Kaution stattgegeben. In der Teestube gegenüber dem Tor des Politknastes Bayrampasa - der Wirt macht Rekordumsätze - warten wir bis in die späten Abendstunden, bis die Frauen nach vierwöchigem Gefängnisaufenthalt entlassen werden. Während wir warten, wird im Gefängnis feierlich das Abschiedszeremoniell begangen. Wegen Mitgliedschaft in der PKK angeklagte Häftlinge haben anläßlich der Entlassungsfeier einen riesigen Kuchen gebacken. Kurdische Tänze werden aufgeführt. Freudentränen fließen zum Abschied. Doch von einem ungetrübten Zusammensei im Knast kann keine Rede sein. „Ihr seid nun mal leider hier, für uns seid ihr nicht erwünscht“, bemerkte gleich bei Einlieferung der Feministinnen ins Gefängnis eine militante Kämpferin der Dev-Sol (Revolutionäre Linke). „Sie sind da, lebendige Feministinnen. Was sollen wir tun“, fragte eine andere aufgeschreckt die Zellengenossin.

Welten stießen im Gefängnis Bayrampasa aufeinander. Die Welt derjenigen, die „öffentlich mit ihrem Hintern wackeln und fröhliche Lieder singen“ - so eine linke Kämpferin über die Feministinnen - und der Welt militant-revolutionärer Marschgesänge. „Wir haben nicht nur das Recht auf Politdiskussionen verteidigt, sondern zum Beispiel auch das Recht, daß ein Ehepaar sich streicheln darf“, sagt Gülnur. „Als wir eine Decke auf dem Korridor aufschlugen und Tee mit männlichen Gefangenen tranken, war der Konflikt vorprogrammiert“, berichtet Gülnur. „Auf den Korridoren wurde Picknickatmosphäre, die die revolutionäre Disziplin schädigt, gesichtet“, ließ der Sprecherrat verlauten. Nur Männer sitzen im 12köpfigen Sprecherrat. Als Frauen einen Sitz verlangten, wurde diese Ketzerei mit schlagkräftigen Argumenten abgewiesen: „Wie kennen keine Frauen und Männer, wir kennen nur Kommunisten.“

Selbst während des Solidaritätshungerstreiks nach den Toden im Knast Aydin - alle Gefangenen beteiligen sich - herrscht Mißtrauen und Ausgrenzung gegen die Feministinnen. Nahezu alle gefangene Militanten der linken Organsationen, die im Gefängnis einsitzen, sind tagelanger Folter auf der Polizeiwache unterzogen worden. Elektroschocks und Traktierung mit Druckwasser sind üblich. Den Feministinnen dagegen wurde kein Haar auf der Polizeiwache gekrümmt. „Ihr wurdet ja noch nicht einmal gefoltert“, lautete die absurde Begründung für das Ausstoßen. „Wir führten einen erbitterten Kampf darum, politisch ernst genommen zu werden“, resümmiert Gülnur. „Unser Gefängnisaufenthalt war lehrreich für die anderen, wie für uns. Viele kamen am letzten Tag zu uns und sagten: 'Wir haben euch schlecht behandelt. Das nächste Mal machen wir es besser.'“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen