KEIN WIND VON DER STRASSE

■ „Bernarda Albas Haus“ in der Freien Volksbühne

Werner Heinrichmöllers Inszenierung läßt nichts zu raten übrig: Er liebt Lorca, den Poeten der Mütter und der dunklen Liebe, er liebt Bernarda Albas Haus (1936) als eine Parabel auf das Leben in der Diktatur, und er liebt es sehr spanisch - aber die Frauen, die liebt er nicht so sehr.

„Nur das Geheimnis läßt uns leben“, nannte Lorca eine seiner Zeichnungen: Diese Frauen haben keines. Denn Heinrichmöller geht es darum, sie in einem Mechanismus zu zeigen, der Macht heißt; ihn interessiert wenig, was diese Damen im Innersten bewegt. Der Patriarch ist tot, es lebe die Tyrannin: Bernarda (Christiane Bruhn). Fünf Töchter zwischen 20 und 40 legt sie an die Kette, unterstützt von ihrer Dienerin La Poncia (Irm Hermann).

Die Beerdigung ist vorbei, Glocken läuten, die Trauerweiber in Schwarz trippeln herein (bläulich kühl marmorierte, hohe Leinwände, ein Fenster in fünf Meter Höhe, ein Metallbett, schmal in der Mitte, am Fußende ein Kranz, blutrot. Auf Liebe und Tod: Für die Bühne zeichnet Bernd Damovsky). Sie fächeln sich Luft mit spanischen Fächern, stöhnen über die Hitze, singen ein Requiem - Österreichs Bergdörfer sind nah. Sie rascheln wieder hinaus, und der Terror wird offiziell. Heinrichmöllers Haus ist ein Reagenzglas, das implodieren wird: „In den acht Jahren, die wir nun trauern werden, darf in dieses Haus kein Wind von der Straße hereinwehen. Wir tun, als hätten wir Türen und Fenster mit Backsteinen vermauert.“ Bernarda paßt auf: Im Kleid mit ausgestellten Hüften, Elisabeth der Ersten entliehen, kommandiert sie. Kein Kontakt nach draußen, schon gar nicht zu Männern. Nur die Älteste, Angustias (Johanna Elbauer: altjüngferlich und huschig, eine Maus aus Goyas Capriccios), darf nachts am Gitterfenster mit ihrem Verlobten plaudern: Pepe el Romano. Oh, Pepe, einziger Mann, Supermann, Pepe, erlöse uns (wie Jesus, dessen Bild an der Wand hängt); die liebenswürdig irre Großmutter im Nachthemd (Charlotte Joeres) sagt es den Ledigen, die „ihr Herz abtöten“: „Pepe el Romano ist ein Riese. Ihr alle liebt ihn. Aber er wird euch verschlingen, denn ihr seid Weizenkörner.“ (Jesus wird später durch Franco ersetzt.)

Die Jüngste, Adela (Geno Lechner), hat Glück bei Pepe - und damit den Mut, sich aufzulehnen - gegen katholische Sitte, Bernardas Zuchthausmoral, gegen die anderen Frauen: „Ich mache mit meinem Leib, was ich will!“ Im grünen Kleid der Hoffnung springt sie über die Bühne: Das muß ja böse enden. Im Hühnerstall ertappt, verraten von Martirio, die Bernarda mit der Flinte hetzt, ihn tot glaubend, nimmt sie sich das Leben. Die Revolution scheitert, die Denunziation siegt. Das kann auch das hübsche Spiel mit dem Licht, das Schattengänge macht, verdunkelt oder Verhörlampen auf einzelne wirft, nicht verheimlichen: Hier, in diesem Haus, ist alles öffentlich.

Die Frauen in Schwarz repräsentieren Zeiten: Magdalena (Gudrun Gabriel), im schmalen Straßenkostüm, eine vertrocknet knarrende Faschistin; Adela, in verträumter Jahrhundertwende, ein Blaustrumpf, wenn sie sich einen Zigarettenstummel anzündet. (Nach der Pause werden sie gleicher: sachlich, dreißiger, achtziger Jahre.) Manchmal gibt es gestellte Bilder, gespannte Eingefrorenheit im besten Fall. Und einmal stehen und knien sie, mit großen Sensen (zur Lynchung einer Fremden), während zwei einen Hochzeitsaltar hereintragen: die Bluthochzeit des Faschismus und Katholizismus. Nun ja.

Die Inszenierung schwankt zwischen solchen Abstraktionen und - Gefühl. Die Töchter keifen, plärren, lassen ihre Stimmen sich überschlagen: Doch Heinrichmöller gibt ihrer Hysterie nicht auch den Charme, den Reiz, der dazu gehört (nur Iris von Kluge als Amelia, in Zigeunertracht, wirkt wie ein Troll, der sich in dieses Geisterhaus verirrt hat). Sie werden zu Schattenrissen, flächig. Und ihrer Bosheit, ihrer Gewalttätigkeit fehlt die andere Seite, ihrem Haß fehlt die Liebe, die ihn bei Lorca so schneidend macht. Wenn vier Schwestern auf den Befehl der Mutter auf die fünfte (Martirio/Sophie Rois) nit Nadeln losgehen, weil sie Angustias das Bild Pepes gestohlen hat, wirkt das arglos, läppisch. Sie haben keine Ausbrüche, weil alles aus ihnen grell herausbricht.

Selbst bei Christiane Bruhn, souverän als machtbesessene Mutter, bleiben Trostlosigkeit und Zärtlichkeit Lippenbekenntnisse. Ambivalent und mehrschichtig ist allein Irm Hermann. Sie spielt gekonnt Puritanismus und Geilheit als Machtmittel aus, hält für alle Zuckerbrot und Peitsche bereit und bewahrt dabei immer eine mokante Distanz zu ihrer Rolle. Maliziös verführt sie die Mädchen, die sich Masken aufsetzen (!) und gelangweilt an ihrer Aussteuer sticken (ein einziges weißes Tuch - wie sollte es anders sein im Kollektiv), mit Männergeschichten. Sie springen auf, singen, klatschen und tanzen das Fenster an - als wäre keine von ihnen auch nur einen Tag lang einmal eingesperrt gewesen, geschweige denn in Abhängigkeitsverhältnissen. Es soll wohl alles sehr spanisch sein.

Doch die Hitze wird durch hörbares Atmen nicht spürbar, die Gemeinheiten nicht durch ausfahrende Bewegungen. Die Stimmungen werden durch eingespielte Radioaufnahmen von Franco-Reden oder Liebesliedern nicht spanischer, und die Musik von Peter Kaizar wirkt als Spannungsmacher peinlich.

Im letzten Akt werden die krakeelenden Frauen immer unerträglicher, das falsche Pathos schlägt durch. Diesen Frauen am Rande eines Nervenzusammenbruchs fehlt - außer Irm Hermann - die nötige Selbstdistanz; zu wenig Ironie, zu viele Effekte. Die Zweigesichtigkeit war eine von Lorcas Lieblingsfiguren: der Charme der Diktatorin, die Lust an der Unterdrückung, das Weinen im Lachen. Es mag paradox klingen: Aber in diesem Haus ist es zu kalt.

Tanja Neumann