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Michaela Roeder zu elf Jahren Haft verurteilt

Wuppertaler Krankenschwester wurde am Tod von acht PatientInnen für schuldig erklärt / Schwurgericht erkannte mildernde Umstände an und verurteilte wegen Totschlags, fahrlässiger Tötung und Tötung auf Verlangen / Staatsanwaltschaft wollte „lebenslänglich“  ■  Aus Wuppertal B. Markmeyer

Das Wuppertaler Schwurgericht hat gestern die 31jährige Krankenschwester Michaela Roeder wegen Totschlags, fahrlässiger Tötung und Tötung auf Verlangen zu elf Jahren Haft verurteilt. In neun der 17 zur Verhandlung stehenden Fälle konnte, so das Gericht, Roeders Schuld am Tod von PatientInnen des Wuppertaler Petrus-Krankenhauses in den Jahren 1985 und 1986 nicht nachgewiesen werden.

In der entscheidenden Frage nach dem Motiv der Angeklagten folgte das Gericht weitgehend den Gutachtern Eberhard Schorsch und Hubert Maisch. Ein „einmaliger, abnormer Prozeß“, in dem Roeders persönliche Entwicklung und die äußeren Umstände im Krankenhaus zusammenwirkten, habe dazu geführt, daß die Krankenschwester „aus Mitleid“ PatientInnen von ihren Leiden befreien wollte, die sie „durch eigenes Leiden gesteigert“ wahrnahm. Die Grenzen zwischen ihr selbst und ihren Patienten und Patientinnen hätten sich verwischt, sie habe in „Verblendung“ über Leben und Tod entschieden und ohne Maß gehandelt. Deshalb, so der Vorsitzende Richter Rolf Watty, sei die „Angeklagte keine Mörderin“.

Die Staatsanwaltschaft hatte sich dagegen der Meinung von Prof. Paul H. Bresser angeschlossen, der Roeder ein unbekümmertes, gefühlskaltes Wesen bescheinigt hatte, und auf eine lebenslange Freiheitsstrafe wegen mehrfachen Mordes aus niederen Beweggründen plädiert. Mit der jetzt verhängten Strafe von elf Jahren Haft blieb das Gericht demgegenüber noch unter den Forderungen der drei Verteidiger Roeders.

Über weite Strecken der Urteilsbegründung setzte sich der Vorsitzende Richter Rolf Watty noch einmal mit Michaela Roeders Entwicklung, ihrer Persönlichkeit, ihren Lebensumständen und den Arbeitsbedingungen auf der Intensivstation des Wuppertaler Petrus-Krankenhauses auseinander. Durch frühe Ablehnung habe Roeder eine stark außengeleitete, nach Anerkennung strebende Persönlichkeit entwickelt. Besonders zu ihrer Chefin auf der Intensivstation habe sie eine übermäßig identifikatorische und idealisierende Beziehung aufgebaut. Roeder habe sich den Beruf zu ihrem ausschließlichen Lebensinhalt gemacht und auch durch ihr Privatleben die nötige Distanz zur Arbeit nicht zurückgewinnen können. Damit sei sie den Belastungen der Arbeit auf einer Intensivstation weit weniger gewachsen gewesen, als ihre nach außen demonstrierte Stärke vermuten ließ. Überdies habe sie viel zu lange auf der Intensivstation gearbeitet, die zudem durch ein schlechtes Arbeitsklima, Schlampereien in der Behandlung der Kranken und in der Dokumentation ihrer Krankheitsverläufe gekennzeichnet war. Besonders diese Umstände, für die die Angeklagte „nicht verantwortlich“ sei, rechnete das Gericht Roeder mildernd an. Positiv auf ihr Strafmaß wirkte sich auch eine gewisse, allerdings nicht juristisch erfaßbare Mitschuld von Roeders Chefin und der Krankenhausärzte auf, die nach Meinung des Gerichtes wesentlich früher auf die gehäuften Todesfälle Ende 1985/Anfang 1986 hätten reagieren und sie untersuchen müssen. So wurde dem mehrfach geäußerten Verdacht eines Pflegers nicht nachgegangen.

Das Gericht kam zu dem Schluß, daß Roeder eine 77jährige Frau auf deren Verlangen tötete. Einen 94jährigen Mann habe sie nicht absichtlich, sondern aus Versehen getötet, weil sie die tödliche Kaliumchlorid-Spritze mit einer Injektion verwechselte, die Bicarbonat enthielt, das bei Wiederbelebungsversuchen benötigt wird. In einem dritten Fall verwechselte Roeder bewußt die beiden Substanzen und spritzte einer 86jährigen Kaliumchlorid in Anwesenheit der Ärzte, um deren Wiederbelebungsversuche an der Patientin, die sie als „grausam“ empfand, zu beenden. Da jedoch ungklärt blieb, ob die Patientin bereits vor der Injektion oder aufgrund dieser starb, erkannte das Gericht lediglich auf versuchten Totschlag. In weiteren fünf Fällen urteilte es wegen Totschlags. In allen acht Fällen lagen außer den Geständnissen der Angeklagten und ZeugInnenaussagen Untersuchungen vor, die Rückstände der tödlichen Gifte in den Körpern der Opfer nachgewiesen hatten.

Empört reagierten ZuschauerInnen auf das ihrer Meinung nach viel zu milde Urteil. „Holen Sie die Toten aus der Erde raus und lassen Sie die reden“, schrie eine Frau Richter Watty an. Die Staatsanwaltschaft wird in Revision gehen.

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