Mit der Macht auf Du und Du

■ Authentizität und Begegnung / Ein Abend auf dem Bremer Parteitag der CDU

Und es gibt sie doch! Da stehen sie ja alle! Und sehen genauso aus und heißen auch so. Und zwar, als hätte das Fernsehen sie doch nicht erfunden. Ein CDU-Parteitag ist eine Gesamtmachtbegegnung der unheimlich echten Art. Die erste Begegnung ist Dregger. Ja, jener Alfred. Das smarte Ekel oder wie Offiziere eben so sind. Streng genommen dürfte er ja nicht in der Presse-Lounge sein, aber irgendwie ist er doch auch Öffentlichkeitsarbeiter. Dregger jedenfalls, wie er sonst sitzt und lacht im Bundestag, diesmal steht er aber. Ich kann den Blick nicht vollkriegen und fühle mich gansartig glotzdumm wie bei etwas Spektakulösem. Es gibt Dregger wirklich! Warum? Egal. Der Weg von der Lounge zum Plenum führt vorbei an Monitoren voll Plenumsgeschehen, Oasen in der allgemeinen Authentizität! Im Plenum bricht Echtes über einen herein.

Gleich vor mir Ulf Fink, ganz sozialausschüssig mit kleingestreiftem Hemd und der bunten ich-bin-so-flott -Brille. Aber doch etwas matter als auf der Mattscheibe. Zwei Reihen davor Herr Diepgen. Im Pullover!! Büßerpullover oder absichtliche Provokation? Jedenfalls schon blaß, bevor er nicht in den Parteivorstand gewählt wurde. Wäre ich seine Sekretärin, würde ich allerdings von popelgrün abraten, das verstärkt zusätzlich den schwachen Eindruck. Huch, Schäuble von rechts. Zum Greifen da, und ich ganz nah an der Macht! Wenn das

mein Vater wüßte. Ich könnte ihm glatt auf die Füße treten.

Aber da kommt er. Lummer. Was heißt Lummer. Der Mann ist so klein wie ich. Was eigentlich für ihn spricht. Aber wie kann ein Skandal so zweibeinig sein? Machen Lügen vielleicht wirklich kurze Beine? Wie groß ist die Ost-Agentin? Versunken in ein Spiel mit einer Fahrradpumpe steht er hinter der letzten Reihe der BERLIN-CDU, weiß Gott, wo er sie her hat, und hin und her schiebt er sie, und ich denke, jeder Mensch hat ein Recht auf seine Luftpumpe und ein Privatleben und lasse ihn allein und habe nicht so schnell mit Geißler gerechnet. Der Mann tritt federnd vor Kämpfernatur mitten in ein Journalistenträubchen und erinnert im Sauseschritt seinen Fahrer, der hinter ihm mitfliegt, an einen abzugebenden Koffer. Auch die Nähe zur Macht macht hungrig und so esse ich die gleichen chicken nuggets wie Matthias Wissmann am Nebentisch, der noch viel aufstrebsamer aussieht als gedacht.

Grüppchenstimmung kommt auf. Gleich ist Wahl des Parteivorsitzenden, und ich habe mir in den Kopf gesetzt, umstürzlerische Umtriebe zu bemerken. So sehr ich aber Grüppchen belausche, keins will stürzen. Da kommt der schöne Todenhöfer, wird aber unschön verdeckt von Peter Voß, nein, kein Politiker, sondern der vom ZDF, heute-journal, also noch wichtiger und noch eine Spur erstaunlich-echter. Und heftig unwillig bei Personen, die sich

in den Weg stellen, obwohl sie weder von Presse, Funk und Fernsehen her bekannt oder von ihm interviewt worden sind. Wie Ulrike Wolf. Die dasteht wie bestellt und von niemand interviewt wird.

Ein vornehm graugetigerter Delegierter versucht, die kunstlederne Pressetasche zu entwenden, hat aber verschiedene Tribünenaugen vergessen und bringt die Tasche kleinlaut zurück.

Da, blonde Breitseite von hinten, das ist doch nicht? Doch, Hannelore! Und wie typisch im Ganzkörperspray. Nach einer Reihe von Wahlgängen sind bald Kohl und Rühe gewählt, obwohl Puppenjungen-Rühes Rede noch blasser ist als er selbst. Die Fotografen im Fotografenring gratulieren, während ihm der Bundeskanzler zu seiner Wahl fern vom Podium zuklatscht. Endlich wird der Vorstand gewählt und Späth und Diepgen fallen durch. Die Grüppchen raunen wegen dem Spätzle, der jetzt eher wie eine Zitrone aussieht. Lummer findet wieder hinter der BERLIN-CDU, daß man dem Mann wenigstens psychologisch danken sollte für vergangene Vorstandsarbeit.

Mit fast dreistündiger Verspätung geht die vielhundertköpfige Mannenschaft ab ins Festzelt zum „Bremer Abend“. Bernd Neumann glänzt stolz. Der Bundeskanzler sitzt als einer der ersten. Am einzigen tellerbedeckten Tisch konzentriert er sich feste aufs Essen, leider immer halb verdeckt von Frau Hannelores

Frisurgewölk, dessen tieferer Sinn mir damit klar wird. Es entgeht ihm aber auch der Zauberer, der am Nebentisch unbemerkt vor sich hin zaubert. Derweil besetzen plötzlich Frauen, wo waren sie bloß die ganze Zeit, die Festtische mit kleinen Handtäschchen. Lackschwarz für Niedersachsen, goldig für die Basis von Baden-Württemberg. Die Unzufriedenheit eines MacDonald-Bediensteten geht unter: Immer noch kein Kanzler-Autogramm in Sicht. Dabei sitzt der Gute doch so nah! Claudia Kohlhas