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SCHÖNE FLANKE

■ „Immer wieder Sonntag“ im Renaissancetheater

Nennt man sich selber, kokett, wie auch immer, einen „alten Sack“, wie Juhnke in einem Interview, entkommt man vielleicht, sozusagen subversiv - indem man sich zum verfemten, dem biologischen Verfall bekennt -, dem modernen, dem nutzlosen Alter in einer Gesellschaft, deren Prinzip auf dem Nutzen beruht.

In Immer wieder Sonntag, einer Komödie des Westendautors Bob Larbey, nehmen zwei rüstige Männer in den besten Politikerjahren, Harald Juhnke und Sebastian Fischer, ihr Alter vorweg. Die funktionslos gewordene Welt der Alten trifft da auf die funktionstüchtig brave, die lieblose Welt der Jungen. Jeden ersten Sonntag im Monat bekommt Cooper (Harald Juhnke) den ungeliebten Pflichtbesuch von Schwiegersohn (Thomas Mende) und seiner Tochter. Die Themen der Jungen sind schnell erledigt - es geht um Staus auf der Straße zum Altersheim, um ein Flachdach fürs Haus, um Schularbeiten, die dem Enkel einen Besuch unmöglich machen. „Wie geht's dir denn?“ lautet stets die Frage, die den Alten in der Gegenwart seines verbrauchten Körpers einschließen will. „Unverändert - kann nicht klagen“, antwortet Cooper. Er redet von der Gegenwart, dem, was in seiner Welt, dem Altersheim, so vor sich geht; daß da jemand senil schon im Zierfischteich geplantscht hat zum Beispiel. Doch davon wollen die Jungen nichts wissen.

Er soll lieber einen Schwank aus seiner Jugend erzählen. Die Besuche werden kürzer, die Gesprächspausen länger. Cooper will, daß das endlich ein Ende hat: „Ich seh‘ eure Märtyrermienen vor mir, wie ihr zu Hause ins Auto steigt.“ Er - der kaum noch gehen kann, der Angst hat, sich in die Hosen zu machen, „aus Gründen des Zipperleins kaum mehr gehfähig ist. Seine Wasserwerke im Unterleib funktionieren nicht mehr verläßlich“ (Friedrich Luft) - verbündet sich mit Aylott (Sebastian Fischer), einem anderen Altersheiminsassen, der unter beginnenden Bewußtseinstrübungen leidet. Vorangetrieben wird das Stück durch die unterschiedlichen Gebrechen beider und ihren voranschreitenden Verfall. „Unverändert - darf nicht klagen“, begrüßen sie sich und versprechen einander doch ängstlich, Veränderungen, die sich am anderen wahrnehmen, nicht zu verschweigen. Ihr gemeinsames Fluchtkomitee, ein Kindertraum, vertauscht den Ausgang Tod mit der Schweiz. Doch schon der Weg zum Tor ist eine „große Fahrt“ (Kant), und Cooper „stürzt“, wie die anderen sagen, setzt sich auf den Hintern, wie er es genannt haben möchte, als er sich die Schuhe zubindet.

Die Rituale gegen die „Zombiewerdung“, gegen das senile Greisentum einer schlechten Unendlichkeit sind zerbrechlich. „Whisky?“ fragt Cooper. „Da würde ich sagen: Hallo Whisky!“ antwortet Aylott mit zitternden Händen. Lange Abende suchen die Freunde vergeblich nach dem elften Mann der Weltmeisterschaft von '54. Oder spielen Schach. Das hält sie wach (katastrophal; sie setzen die Figuren falsch und unsinnig. Man denke doch bitte an die Schachspieler im Publikum!!). Das alles spielt in einem Raum, dem gutsherrlichen Krankenzimmer Coopers, das sich holzgetäfelt souverän über jede Altersheimalltäglichkeit hinwegsetzt.

„Unser fideler und so vielseitiger Harald Juhnke!“ (Friedrich Luft) ist ununterbrochen auf der Bühne, mit einem Schnurrbart, der angeklebt wirkt, solange er nicht aus seiner Rolle als Harald herauskommt und sarkastische Witze mit Kunstpausen erzählt, als wären sie Bestandteil seiner Show. Irgendwann überwindet er Lampenfieber oder Juhnketum, „geißelt dann mit dem Schweif / er Flanke und Hüfte / rechts und links und feuert sich selber zum Kampfe an“ (wie Homer sagen würde), verändert Stimme und Gesten und entscheidende Nuancen und wird zu Cooper, monologisiert im roten Armsessel von feindlichen Panzerdivisionen - Armee der Teewagen -, die sich aufmachen, letzte Widerstandsnester auszuräuchern. Durch herrschaftliche Fenster fällt das schönste Morgenlicht.

Es passiert wenig, das Wenige, das passiert, ist unterhaltend, was schon etwas ist, was viel ist in Zeiten eines fast vollständigen Niedergangs, nun ja, deutscher Unterhaltung („Sketchup“, „Hurra Deutschland“, Mike Krüger, Jürgen v.d. Lippe, Günter Jauch und Konsorten). Also greift man auf englische Autoren zurück. Renitente Alte, resolute Putzfrauen, anteilnehmende Krankenschwestern, lieblose Kinder - die Gesellschaft schließt das Unnütze aus -, das mögen alles Klischees sein, in denen dennoch mehr Wahrheit steckt als im durchgedreht-vorlaut würdelos-infantilen Spiel einer Lotti Huber. Selten durchbricht Larbey pathetisch seine Allgemeinplätze, und es ist merkwürdig, daß dieses Pathos schließlich zu rühren vermag, wenn von der Angst zu sterben die Rede ist, wenn am Ende Aylott erkennt, daß sein Gehirn nicht mehr so richtig funktioniert - geistige Dislokation, der Weg zu Kiosk und Gummibärchen führt in unbekanntes Land, aus dem ihm erst ein „Punk“ heraushilft und wenn er vom Entschwinden der Dinge, der Watte in seinem Kopf spricht. Cooper macht sich in die Hose und wirft mit humanem Pathos seinem Freund und dem lärmend klatschenden Publikum ein „Noch nicht“, unsere Leichen leben noch, wir sind noch keine Zombis, entgegen. „Noch nicht“ wehrt sich im überfüllten Foyer dann auch ein alter Herr im angelsächsischen Schirmmützendreß gegen den Arm seiner besorgten Tochter. „Noch nicht“, habe ich dann auch gedacht, als mir das Garderobenmädchen die Sporttasche hinterherbrachte.

Detlef Kuhlbrodt

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