: Leukoplastbomber auf dem Weg nach Berlin
■ Demnächst dürfen DDR-Flüchtlinge ihre Trabants und Wartburgs weiterverkaufen / Verkehrssenator Wagner will Ausnahmegenehmigung erweitern / Die pestenden Zweitakter dürfen hier eigentlich gar nicht zugelassen werden
Diejenigen Berliner, denen ein Porsche zu ordinär ist und die mit ihrem Rolls Royce nie einen Parkplatz finden, haben demnächst eine exklusive Alternative: Die DDR-Zweitakter Trabant und Wartburg. Exklusiver als jede Nobelkarosse sind sie auf jeden Fall. Eigentlich dürfen sie nämlich in West -Berlin und dem Bundesgebiet überhaupt nicht zugelassen werden, da sie die bundesdeutschen Abgasvorschriften beim besten Willen nicht erfüllen können. Gab es in Berlin bislang lediglich nicht übertragbare Ausnahmegenehmigungen für Übersiedler, will Verkehrssenator Wagner (SPD) künftig auch den Weiterverkauf von Trabis genehmigen. „Wir wollen das anordnen“, bestätigte gestern Wagners Sprecher Göbel.
Am Dienstag hatte sich bereits Bundesverkehrsminister Zimmermann (CSU) dafür eingesetzt, DDR-Flüchtlingen die Möglichkeit zu geben, ihr mitgebrachtes Auto zu verkaufen. Die „Entscheidung des Berliner Senats“, Ausnahmegenehmigungen nur für die gegenwärtigen Besitzer auszustellen, bezeichnete Zimmermann als „unsozial“. Diese Kritik wies Wagner gestern scharf zurück. Die von Zimmermann angeprangerte Regelung sei vor acht Jahren vom damaligen CDU -Minderheitssenat eingeführt worden. Aber Zimmermann sei „offensichtlich jedes Mittel recht, Berlin in Verruf zu bringen“, schimpfte der Verkehrssenator. In Wahrheit, so Göbel, wolle Wagner Zimmermanns Vorschlag durchaus unterstützen und ihn auch im Alleingang verwirklichen.
Nicht einmal Umweltsenatorin Schreyer (AL-nah) will Wagner Steine in den Weg legen. Ihr Sprecher Rogalla konnte den real existierenden Dreckschleudern durchaus Positives abgewinnen: Die Trabi-Spitze von 110 Sachen sei schließlich eine „ökologisch angepaßte Geschwindigkeit“. Mit dem Schadstoffausstoß der Zweitaktmotoren ist die Umweltverwaltung weniger zufrieden: Weil sie den Kraftstoff nur unvollständig verbrennen, stoßen Trabant und Wartburg zwar weniger Stickoxide, aber doppelt soviele Kohlenwasserstoffe aus wie vergleichbare Viertakter.
Ob die Flüchtlinge, die jetzt aus Ungarn einfliegen, irgendwann ihre Blech- und Plastikkisten in die Stadt überführen lassen und ob die DDR dies auf den Transitstrecken überhaupt zulassen wird, steht nach Wagners Ansicht allerdings noch in den Sternen. Wieviele Trabis und Wartburgs jetzt schon durch die Westberliner Straßen knattern, war gestern nicht zu ermitteln. Weder der TÜV, noch das Landeseinwohneramt oder die Senatsverkehrsverwaltung hatten die Zahl parat. Nach Schätzungen ist sie jedoch höchstens zweistellig.
Während die ehemaligen DDR-Bürger in der Regel vermutlich möglichst rasch in prestigeträchtigere West-Modelle umsteigen möchten, könnten westliche Exzentriker durchaus Gefallen an dem anmutigen 50er-Design eines Trabants finden. Spontaner Kommentar von Schreyer-Sprecher Thomas Rogalla, als er von Senator Wagners Plänen erfuhr: „Da komme ich ja zu meinem Traumauto.“ Rogallas Farbwunsch: türkis, mit weißem Dach.
hmt
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