: BAUHAUS-GESCHICHTE
■ Überlegungen für eine „Institution neuen Typs“ im Praxisfeld Geschichte - jenseits des Deutschen Historischen Museums
Letzten Freitag fand im Reichstag eine Anhörung der Kultursenatorin zur Konzeption des Deutschen Historischen Museums statt (vgl. taz vom 8. und 11.9.). Zu dieser Anhörung legten Thomas Lindenberger aus Berlin und Michael Wildt aus Hamburg ein (undiskutiert gebliebenes) Thesenpapier vor, das wir hier - geringfügig überarbeitet dokumentieren. Die Autoren arbeiten seit Jahren in Geschichtswerkstätten mit. Aufgrund ihrer Beschäftigung als Mitarbeiter in Universitäten bezeichnen sie sich selbst allerdings eher als „Grenzgänger“ zwischen den akademischen und außerakademischen Institutionen, weshalb ihr Vorschlag auf ihren eigenen Erfahrungen und Beobachtungen gründe und nicht die Auffassung der Geschichtswerkstätten ausdrücke.
Die zentrale Frage, die sich in der Diskussion um ein Deutsches Historisches Museum stellt, ist nicht die, ob die Rechte oder die Linke die Hegemonie über dieses Museum erringt, sondern ob ein Museum als solches die adäquate Institution ist, die neu entstandenen und innovativen Umgangsweisen mit Geschichte aufzunehmen und weiterzuentwickeln. Unser Gegenvorschlag eines „Bauhauses Geschichte“ greift den Begriff einer „Institution neuen Typs“ aus der Konzeption für ein „Forum für Geschichte und Gegenwart“ des damaligen Kultursenators Volker Hassemer aus dem Jahr 1983 auf - und weist über ihn hinaus.
Nach einem Jahrzehnt „Geschichtsboom“ kann als vorläufiges Ergebnis festgehalten werden: Geschichte ist von einer hierarchischen, exklusiven Zunftwissenschaft zu einer öffentlichen Angelegenheit geworden. Vor allem den Geschichtswerkstätten ist es gelungen, Geschichte von dem autoritären Duktus „So war's“ zu befreien und zu einem „Streitfall“ vor Ort werden zu lassen, in dem die „barfüssige“, sprich gesellschaftliche und ästhetisch -künstlerische Kompetenz ebenso ernst genommen wird wie die fach-historische. „Geschichte“ reduziert sich nicht mehr auf die „wahre“ Rekonstruktion von Vergangenheit, sondern erweist sich als ein komplexer und vielfältig determinierter Produktionsprozeß. Geschichte wird zum offenen Laboratorium.
Vor allem in drei Bereichen lassen sich die Innovationen, die das Praxisfeld Geschichte in den letzten Jahren erfaßt haben, ablesen.
Geschichte als wissenschaftliche Praxis:
Die Stichworte Alltagsgeschichte, Mentalitätsgeschichte, Frauengeschichte, oral history verweisen auf neue Inhalte und Methoden, die in den letzten Jahren das Bild der Geschichtswissenschaft gründlich veränderten. Gleichermaßen büßten die etablierten Institutionen wie Universitäten und große Museen, die bislang die Geschichtswissenschaft repräsentierten, ihre Überzeugungskraft als Auguren der Historie ein und müssen sich heute mit kecken wissenschaftskritischen Basisbewegungen außerhalb ihrer institutionellen Grenzen auseinandersetzen. Kurzum: Die wissenschaftliche Betätigung mit Geschichte läßt sich nicht mehr in den herkömmlichen inhaltlichen wie institutionellen Reservaten einhegen.
Geschichte als kulturelle und pädagogische Praxis:
Die auffälligsten, weil öffentlichen Veränderungen ereigneten sich im Bereich der Darstellung von Geschichte. Museumspädagogik und Ausstellungsdidaktik haben sich zu innovations- und experimentierfreudigen Multiplikatoren der neuen inhaltlichen Tendenzen entwickelt. Ausstellungen, Filme, Videos, Theaterstücke oder auch neue Aktionsformen wie Stadtrundgänge tragen entscheidend dazu bei, historische Spezialistendiskurse in öffentliche Diskussionen überzuleiten.
Geschichte in Politik und Alltag:
Historisches Argumentieren, das heißt der Verweis auf die Vergangenheit wird in allen relevanten politischen Debatten herangezogen, ob es dabei um Rassismus, die Gentechnologie, die Urbanisierung, die „Dritte Welt“ oder den industriell -zivilisatorischen „Fortschritt“ geht. Im Unterschied zu früher spielt Geschichte dabei immer weniger die Rolle einer objektiven letztinstanzlichen Schiedsrichterin. Sie wird vielmehr zum umkämpften imaginären Ort, an dem gesellschaftliche Realität kritisch emanzipatorisch, aber auch konservativ-hierarchisch gedacht und entworfen werden kann.
Der eingangs angesprochene „Geschichtsboom“ ist die Resultante der Entwicklung in diesen drei Praxisbereichen von Geschichte. Entsprechend vielfältig sind die Träger dieser Innovationen: Vereine, Initiativen, unabhängige Institute, Geschichtswerkstätten, Einrichtungen der Erwachsenenbildung, Kulturprojekte, und last, but not least: auch viele Inseln und „outsider“ der akademischen Forschung. - Aber: Dem Gewinn an historischer Öffentlichkeit und Kompetenz steht die Gefahr einer Beschränkung des Horizonts gegenüber. Das große Manko des experimentellen Booms besteht in der mangelnden kommunikativen Verknüpfung der verschiedenen Praxisbereiche, Institutionen und deren Erfahrungen. Immer noch diskutieren Historiker, Geschichtswerkstätten, Pädagogen, Kunstwissenschaftler, Politologen usw. weitgehend unter sich.
Die Konzeption eines „Deutschen Historischen Museums“ stellt angesichts dieser gravierenden Veränderungen im Umgang mit Geschichte den Versuch dar, diesen divergierenden, zum Teil heftig auseinanderstrebenden Tendenzen mit einem integrativen Kanon „in letzter Instanz“ zu begegnen. Die Mega-Maschine DHM soll durch eine „pluralistische“, repräsentative Ordnung historischen Wissens - publikumswirksam auf höchstem museumspädagogischen und ästhetischen Niveau dargestellt - diesen zentrifugalen Tendenzen entgegenwirken: Die Geschichte wird aus- und nicht in Frage gestellt. Diese zentrierende Institution muß von ihrer systemimmanenten Logik her - ob von den Gutachtern/Mitarbeitern intendiert oder nicht - wieder den Anspruch auf ein symbolisches Deutungsmonopol erheben und einen Konsens über Geschichte, egal ob links, rechts oder pluralistisch-ausgewogen, durchzusetzen suchen, der auf anderem Wege offenbar nicht mehr herstellbar ist und möglicherweise längst nicht mehr von allen gewünscht wird.
Demgegenüber können gerade die Heterogenität und Pluralität der gegenwärtigen Umgangsweisen mit Geschichte die Grundlagen einer „Institution neuen Typs“ bilden, deren Ziel es wäre, die Interdependenz dieser Praxisfelder selbst zum Thema zu machen, zu erforschen und durch einige prototypische Experimente weiterzuentwickeln. Im reflexiven Bezug auf Geschichte in der heutigen Gesellschaft, das heißt der Frage nach ihren historischen und sozialen Grundlagen, sehen wir die wesentliche Qualität einer „Institution neuen Typs“ im Praxisfeld Geschichte. Damit würde eine solche neue Institution einerseits die beengende und obsolete Form eines Nationalmuseums weit hinter sich lassen und andererseits auch über die Konzeption für ein „Forum für Geschichte und Gegenwart“ hinausgehen, wenngleich dessen Kernbereich, wechselnde historische Ausstellungen, als eine zentrale Aufgabe in ein Gesamtkonzept integriert sein würde.
Wie könnten die konkreten Aufgabenfelder einer solchen „Institution neuen Typs“ aussehen?
Im Bereich historischer Forschung würden wie im Bereich der Darstellung und Vermittlung Problematiken aufgegriffen, die sich an innovativer Themenstellung und gesellschaftspolitischer Relevanz orientierten. Aus dem derzeitigen Themenbündel wären exemplarisch zu nennen:
-Rassismus, Minderheitengeschichte, Ethno-Historie in sich modernisierenden Gesellschaften / Vorurteilsforschung / Bedeutung kultureller Traditionen in multikulturellen Gesellschaften;
-Verhältnis Wissenschaft und Machtstrukturen in der Moderne: z.B. Medizin - Bevölkerungswissenschaft - Eugenik Gentechnologie; Zivilisationsgeschichte als Geschichte des „wissenschaftlich-technologischen Fortschritts„;
-Geschichte der Geschlechter und des Geschlechterverhältnisses - eine Fragestellung, die zugleich in alle Thematiken eingebracht werden muß;
-Geschichte europäischer Gesellschaften als Geschichte gegen die Perspektive vom Zentrum und der Peripherie (Dritte Welt);
-Geschichte der Schriftlichkeit aus der Perspektive der Informationsgesellschaft, Veränderung der Produktion von Geschichte durch die neuen Medien.
Der Bereich der Darstellung und Vermittlung von Geschichte umfaßte „große“ wie „kleine“ Ausstellungen ebenso wie experimentelle künstlerische und Medienprojekte (Theater, Film, Video, Ton) und Forschung zu Methoden der Ausstellungsdidaktik, Museumspädagogik und Erwachsenenbildung. Im Bereich Geschichte in politischen und alltäglichen Diskursen ginge es um die Evaluation politisch relevanter Geschichtsdebatten, aber auch Themen wie Jubiläen und Kommunalpolitik, Minderheitenpolitik und Geschichte, Geschichte in der Werbung usw., durch Ad-hoc-Gruppen, Symposien, Konferenzen.
Ein solches Bauhaus Geschichte würde keineswegs einen allumspannenden Anspruch auf Universalität und Totalität erheben. Seine Spezifität bestünde im Gegenteil im Aufbau und Entwicklung einer kommunikativen Struktur, im Austausch und Interdependenz von Geschichte als wissenschaftlicher, darstellender und politisch-alltäglicher Praxis. Es wäre ein Ort nicht nur der Forschung und des Experiments, sondern auch der Vermittlung von Fertigkeiten und Wissen.
Das setzt binnen-institutionelle Durchlässigkeit ebenso voraus wie permanente Lernbereitschaft aller Beteiligten. Keine der drei skizzierten Praxisbereiche lassen sich voneinander abschotten. Keines der Themen kann ausschließlich mittels einer Zugangsweise exklusiv bearbeitet werden. Alle Arbeitszusammenhänge sind grundsätzlich einem breiten Adressatenkreis verpflichtet, der von Fachsymposien und Studienaufenthalten über Veranstaltungsformen der Erwachsenenbildung bis hin zu internationalen Kongressen und Networks reichen wird.
Angesichts des zu Recht kritisierten institutionellen Aufbaus des „Deutschen Historischen Museums“ wollen wir zum Schluß betonen, daß eine von uns skizzierte neue Institution entsprechend dem öffentlichen Auftrag einer öffentlichen, demokratisch legitimierten Kontrolle unterworfen sein muß. Ein öffentliches Aufsichtsgremium hätte die mittel- und langfristigen Grundsatzentscheidungen zu fällen, ohne im einzelnen das auch hier gültige Prinzip der Freiheit von Forschung, Lehre und Kunst in Frage zu stellen.
Thomas Lindenberger/ Michael Wild
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