: LESBOS, INSEL: SIEHE ERDKUNDE
■ In den Stadtbüchereien fehlt gleichgeschlechtliche Literatur
Charlottenburgs Homo-Politaktivist Nummer eins, der schwule Bezirksverordnete Micha Schulze (AL), hat wieder zugeschlagen: Nachdem er bereits die AL- und SPD-Mehrheit im Gesundheitsausschuß davon überzeugen konnte, am Rathaus zwei Kondomautomaten anzubringen (auf Rollstuhlfahrerhöhe und mit Cruising-Pack im Programm - Gleitcreme plus Präser) sind jetzt die Charlottenburger Öffentlichen Bibliotheken dran. Da sollen zwar keine Frömmse in den Lesesaal, aber die Schlagworte „Schwule“ und „Lesben“ in die Katalogsystematik. Schulze wird auf Antrag der AL das Bezirksamt auffordern, die Kataloge der Bibliotheken entsprechend zu ändern und in der Hauptbücherei im Rathaus neben den Belletristik-Rubriken „Krimi“, „Neue Frau“, „Western“, „Science-fiction“ etc. auch eine Abteilung von „Romanen für bzw. von Schwulen und Lesben“ einzurichten. Außerdem sollen, so der Schulze-AL -Antrag, „zukünftig verstärkt Bücher zur Thematik schwul -lesbischer Emanzipation von den Stadtbüchereien erworben werden“.
Bisher tauchen Schwule und Lesben nämlich in den Büchereien um die Ecke unter dem Stichwort „Homosexualität“ eher unter als auf. Schwules und Lesbisches bleibt auch heute noch subsummiert unter die Querverweise zu Soziologie, Medizin, Recht, Sexualwissenschaft. Von gleichgeschlechtlicher Lebensweise nix zu finden, von bewegten Büchern schon gar nicht. Als sich Micha Schulze neulich durch die Karteikästchen der Charlottenburger Büchereien blätterte, entdeckte er nur in der Hauptbücherei das Stichwort „Homosexualität“, in den anderen Zweigstellen gar nicht. Die „Modebegriffe“ schwul und lesbisch sind systematisch inexistent: „Lesbos, Insel, siehe: Erdkunde“, die einzige klägliche Spur.
Im Charlottenburger „Amt für Büchereiwesen“ ist Schulzes Antrag, weil noch so neu, noch nicht bekannt. Der Leiter des Amtes Knud Schlegtendal reagiert nicht gerade begeistert, aber gutwillig auf die Forderungen: „Ich habe mich auch schon immer gefragt, warum wir diese Gay-Stadtführer nicht im Programm haben, aber die müßten ja jedes Jahr neu angeschafft werden, da ändert sich ja ständig alles.“ Während sich der Charlottenburger Ober-Biblio durchaus vorstellen kann, die Begriffe in die „Berlin-weite Systematik der Öffentlichen Bibliotheken“ aufzunehmen (etwa: „Schwul, siehe Homosexualität“), sieht er bei Extraregalen Probleme: Sachbücher und Belletristik wolle er nur ungern aus den bisherigen Beständen „rausreißen“. Außerdem sei das oft „eine Platzfrage“, für die „meist kleine Büchermenge lohne das nicht“. Was die „Berlin-weite Systematik“ angeht, verweist Schlegtendal auf die Arbeitsgruppe der Bibliothekare in der Kulturverwaltung, die alle paar Monate „aktualisiert und über neue Begriffe beschließt“. Das müsse „auf höherer Ebene laufen“. Schlegtendal selbst würde lieber „feiner gliedern“ als schwul-lesbische Abteilungen zu schaffen.
Dem schwulen Bezirksverordneten Micha Schulze wird das sicher nicht reichen. Denn er verfolgt mit seinem Antrag emanzipatorische Ziele: Schwule und Lesben in Systematik und Regal sieht er als „kleinen Schritt, die verdrängte Homosexualität in der Gesellschaft sichtbar zu machen und homosexuellen Menschen, insbesondere Jugendlichen in ihrem Selbstakzeptierungsprozeß und Coming-out zu helfen“. Und, noch weiter: Auch Heteros erhielten dadurch „die einmalige Chance, ihre eigene sexuelle Orientierung noch einmal gründlich zu überdenken“.
Eingebracht werden soll Schulzes gleichgeschlechtlicher Antrag in die Bezirksverordnetenversammlung am 21. September.
kotte
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