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DAS FLEUGZEUG IST MEIN PLANET

■ Zum 15. Geburtstag des Orlanda-Frauenverlags: Beryl Markham, Buschpilotin und Pferdetrainerin

Pilotinnen leben gefährlich, wie man nicht zuletzt in dieser Stadt weiß. Spannender aber sind die Vorgängerinnen unserer fliegenden Senatorin. Davon erzählt das jüngst erschienene Buch „Fliegen - ihr Leben. Die ersten Pilotinnen“ aus dem Orlanda Frauenverlag. Der feiert in diesen Tagen gerade seinen 15. Geburtstag, wozu wir schärfstens gratulieren. Aus dem Buch drucken wir, allseits Hals- und Beinbruch wünschend, eine autobiographische Passage der englischen Keniafliegerin Beryl Markham ab, die übrigens über die Liebe zum selben Fliegermann, Denys Finch Hatton, mit der anderen „schwarzweißen“ Fliegerin, Tania Blixen, verknüpft war.

1986, 50 Jahre nach ihrem erfolgreichen Flug über den Atlantik in Ost-Westrichtung, starb Beryl Markham 84jährig in Nairobi. In Kenia war sie bis ins hohe Alter als erfolgreiche Trainerin von Rennpferden bekannt. Die übrige Welt hatte sie schon weitgehend vergessen, bis 1983 und 1988 ihre Autobiographie durch einen Zufall wiederentdeckt wurde. Die Weichen in ihrem Leben stellte ihr Vater, Charles Clutterbuck, der sich 1904 entschloß, England zu verlassen und sein Glück in den Kolonien zu suchen.

1933 bestand Beryl Markham als erste Frau in Kenia die schwierige Verkehrspilotenprüfung. Mit einem Helfer, der sich schnell von Pferden auf Flugzeuge umgestellt hatte, arbeitete Markham als Charterpilotin vom „Muthaiga Country Club“ in Nairobi aus. Sie transportierte Post und Nachschub zu den Goldarbeitern in der Nähe des Victoriasees, sie flog Kranke und Verletzte ins Hospital nach Nairobi oder Farmer zu ihren abgelegenen Besitzungen. An Aufträgen fehlte es nicht, weil man, wie sie selbst schrieb, ohne Flugzeug in Afrika nicht weit kam.

Ich sah, wie von den Felsen her kleine Schatten krochen; sah, wie Vögel in schwarzen Scharen heimwärts strebten zum verstreuten Busch; und ich begann, an mein eigenes Zuhause zu denken, an ein warmes Bad und ein ordentliches Essen. Das Gefühl der Hoffnung ist beharrlich, über jegliche Vernunft hinaus, aber da der Nachmittag schon so weit vorangeschritten war, ließ sich beim besten Willen nicht damit rechnen, Woody jetzt vielleicht noch zu finden. Falls er noch am Leben war, würde er bei Nacht natürlich ein Feuer entzünden, doch mein Kraftstoff nahm rapide ab, Reserven hatte ich nicht - und ich sehnte mich nach Schlaf.

Ich war gerade dabei, einen östlichen Kurs einzuschlagen, in Richtung auf Nairobi, als mir der Gedanke kam, daß es sich bei dem Gewässer, über das ich so achtlos hinweggeflogen war, keinesfalls um Wasser handelte, sondern vielmehr um die silbrigen Tragflächen eines Klemm -Eindeckers, welche das Licht der Sonne reflektierten.

Genaugenommen war es gar kein richtiger Gedanke, und noch weniger war es eine jener blitzartigen Offenbarungen, wie sie sich so fürsorglich bei geplagten Romanhelden einzustellen pflegen. Es war nicht mehr als eine Ahnung. Doch welcher Pilot wäre so töricht, seinen Instinkt zu ignorieren? Ich jedenfalls nicht. Vermutlich entscheidet darüber ganz simpel das Resultat. Erweist sich die Ahnung als richtig, so war man inspiriert; erweist sie sich als falsch, so hat man einem unsinnigen Impuls nachgegeben.

Doch solchen Überlegungen hing ich nicht weiter nach. Schon hatte ich meinen Kurs abermals geändert, an Höhe verloren und wieder Fahrt aufgenommen. Ich jagte gleichsam mit den Schatten um die Wette. Es war wie ein freundschaftliches Spiel zwischen der Sonne und mir.

Währenddessen wurde meine Vermutung zur Überzeugung. Nichts auf der Welt, grübelte ich, konnte reflektierendem Wasser so sehr zum Verwechseln gleichen wie die Tragflächen von Woodys Flugzeug. Ich erinnerte mich, wie hell sie geglänzt hatten nach ihrem letzten Anstrich, der ihnen ein silbriges oder stählernes Aussehen verlieh. Dabei bestanden sie nur aus dünnem Holz und Tuch und getrocknetem Leim.

Die Täuschung hatte Woody sehr amüsiert. „Alles aus Metall“, hatte er, mit dem Daumen auf die Klemm weisend, gesagt. „Alles aus Metall - ausgenommen bloß die Tragflächen und der Rumpf und der Propeller und dergleichen Sächelchen. Aber alles übrige ist aus Metall - sogar der Motor.“

Dort war endlich, wonach ich gesucht hatte - nicht irgendein Teich oder ein anderes Gewässer, sondern unverkennbar diesmal - die Klemm, die wie ein abgeschossener Vogel auf dem Boden zu kauern schien, nicht zerschmettert, doch leblos und allein, neben sich kein Feuer, nicht einmal ein Stecken mit einem flatternden Fetzen.

Ich verlangsamte und zog spiralenförmige, tiefer strebende Kreise. Vielleicht hätte ich, in diesem Augenblick, ein frommes Gebet für Woody auf den Lippen haben sollen, doch ich hatte keines. Ich fragte mich nur, ob er wohl verletzt worden war und von einigen Massai Muranis in ein manjatta geschafft worden sein mochte; oder ob er, törichterweise, im weglosen Land umhergewandert war, auf der Suche nach Wasser und Nahrung. Ich glaube, ich verfluchte ihn sogar ein wenig, denn als ich in einer Entfernung von etwa 150 Meter von der Klemm dahinglitt, konnte ich erkennen, daß die Maschine zumindest äußerlich - völlig intakt schien.

In einem solchen Augenblick kann es zu einem sonderbaren Durcheinander von Gefühlen kommen. Die plötzliche Erleichterung über den Anblick der intakten Klemm mischte sich mit der um so größeren Enttäuschung darüber, daß Woody nicht in der Nähe war, ausgehungert und halbverdurstet vielleicht, aber doch jedenfalls lebendig.

Die Regel Nummer eins bei Notlandungen sollte lauten: „Gib das Schiff nicht auf.“ Das hätte gerade Woody wissen müssen, und natürlich wußte er es auch, doch wo war er?

Bei neuerem Kreisen sah ich, daß trotz einiger Erdlöcher und verstreuter Steinbrocken eine Landung möglich sein würde. Rund 30 Meter von der Klemm gab es einen Streifen Land mit kurzem, dürrem Gras. Von der Luft aus schätzte ich die Länge des Streifens auf ungefähr 150 Meter - eigentlich nicht lang genug für ein Flugzeug ohne Bremsvorrichtung, doch mochte es unter den Umständen gehen, da der Gegenwind den Landeanflug der Avian verlangsamen würde.

Wieder nahm ich Fahrt weg und ließ dem Propeller gerade genügend Umdrehungen, um die Maschine für die Landung auf so begrenztem Raum stabil zu halten. Während ich ausschwebte, ließ ich das Schwanzende sacht von Seite zu Seite schwingen, um den Boden unter mir soweit wie möglich im Auge behalten zu können, auf diese Weise gelang es mir, überraschend glatt zu landen. Gleichzeitig machte ich mir jedoch klar, daß der Start, zumal mit Woody an Bord, wohl weitaus schwieriger sein würde.

Doch Woody war nirgends zu sehen.

Ich kletterte aus dem Cockpit, holte meine verstaubte und verbeulte Wasserflasche hervor und ging zu der Klemm, die bewegungslos und gleißend im späten Sonnenlicht stand. Ich betrachtete die Tragflächen, konnte jedoch keinen Schatten entdecken. Ja, dort stand sie, zerbrechlich und weiblich, und rastete auf dem rauhen, grauen Boden, allem Anschein nach völlig unversehrt, mit schrägstehendem, keckem Propeller und leerem Cockpit. (...)

Die Stille, die zu der schlanken, kleinen Maschine gehörte, schien mir erfüllt von einer Art Arglist - von einer mutwilligen Bosheit, wie sie sich etwa im zufriedenen Lächeln einer eitlen Frau zeigen mochte, die einen zwar kleinen, für sie jedoch kostbaren Triumph genoß.

Im Gras fand ich eine Spur, eine Art frischen Pfad: Halme waren zu Boden gepreßt, Steinchen aus ihren winzigen Mulden gescharrt, und ich folgte dem Pfad, der an einigen größeren Steinen vorbei in ein Gewirr von Dornenbäumen führte. Laut rief ich Woodys Namen, doch die einzige Antwort war der Widerhall meiner eigenen Stimme. Aber als ich dann den Kopf drehte und den Ruf nach Woody wiederholen wollte, sah ich zwei dicht beieinander stehende Felsblöcke und in der Lücke zwischen ihnen ein Paar Beine in verschmutzten Arbeitshosen und dahinter dann auch noch den Rest von Woody, der auf dem Bauch lag, den Kopf in der rechten Armbeuge.

Ich ging zu ihm, schraubte den Verschluß der Wasserflasche auf, beugte mich zu dem Liegenden und schüttelte ihn.

„Ich bin's - Beryl“, rief ich und schüttelte ihn kräftiger. Eines der Beine bewegte sich, dann auch das andere. Ich packte den Liegenden beim Gürtel und zerrte heftig.

Woody begann, sich rückwärts aus der Lücke zwischen den Felsblöcken herauszustemmen, eine Bewegung, die mich unsinnigerweise an die Gangart eines bestimmten Krebses erinnerte, der in Südfrankreich als große Delikatesse gilt. Woody murmelte irgend etwas, und ich erinnerte mich, daß dies typisch ist für Menschen, die am Verdursten sind, und daß sie nur einen Wunsch haben: - Wasser. Ich ließ ein paar Tropfen auf seinen Nacken fallen, als dieser zum Vorschein kam, und erhielt als Dank für meine Mühe ein unwilliges Grunzen. Und dann setzte sich Woody plötzlich auf, verdreckt der Bart und ausgemergelt das Gesicht darunter, die Lippen trocken und rissig, die Augen rötlich umrandet und die Wangen hohl. Er war ein kranker Mann, und er grinste.

„Ich mag nicht, wie eine Leiche behandelt zu werden“, sagte er. „Ist eine Beleidigung. Gibt's hier irgendwas zu essen?“

Aus der Autobiographie „Westwärts mit der Nacht„

Dankend entnommen: Gertrud Pfister: „Fliegen - ihr Leben. Die ersten Pilotinnen“. Orlanda Frauenverlag, Berlin 1989, 39,80 Mark.

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