: Evviva la famiglia
■ Bei der diesjährigen Biennale in Venedig siegten die Familienbande. Der Goldene Löwe ging an Hou Xiaoxian (Taiwan), der Sonderpreis an Iosselliani, den Silbernen teilen sich Kei Kumai (Japan) und Joao Cesar Monteiro (Portugal).
Arno Widmann
Hou XiaoXian ist Siege gewohnt. Sein Film Dongdongs Sommerferien erhielt bei den Filmfestspielen in Berlin 1986 den Preis der Filmkritik. In Venedig zeigte er Schmerzensreiche Stadt, einen Film, der in extrem langen Einstellungen die Geschichte von vier Brüdern erzählt. Sie leben im von den Japanern befreiten und von den Festlandchinesen besetzten Taiwan. Der eine führt ein Lokal, der andere hat mit Drogen und Falschgeld zu tun, der taube Bruder besitzt ein Fotostudio. Er ist der Intellektuelle in der Familie.
Das Leben ist schrecklich, und es wird bös enden, das erfahren wir gleich mit der ersten Einstellung. Nicht liegt dem Regisseur ferner, als unsere Emotionen mal in die eine, mal in die andere Richtung zu lenken. Trübsal von Anfang bis Ende, wir versacken in Melancholie, machen ein Nickerchen und wachen wieder auf, weil der Nebenmann schnarcht. Arte Povera
Otar Iosseliani erklärte, die diesjährige Biennale-Jury sei eines Provinzfestivals würdig. Vermutlich sagte er das, bevor er wußte, daß er ihren Sonderpreis bekommen würde. Ich glaube, er täuscht sich gewaltig. Schmerzensreiche Stadt ist ein Film für verwöhnte Vielseher, die sich ausruhen wollen von der Brillanz, vom Einfallsreichtum, vom souveränen Umgang mit dem Medium, wie wir ihn kennen und lieben. Zwischen opulenten Mahlzeiten, traumhaften Gehältern und großzügigen Aufwandsentschädigungen träumen sie von den Wonnen der Askese, von der triumphalen Wiederkehr der arte povera.
Man stelle sich die Szene vor: Sechs Leute sitzen um drei Seiten eines Kneipentisches - die vierte muß frei bleiben, sonst würde uns ja jemand den Rücken zuwenden (man nennt das Guckkasten-Prinzip) -, unterhalten sich, schweigen. Es ist Nacht. Was sie sich erzählen, ist pointenlos, nichts, was auch nur einen Funken unseres Interesses wecken könnte. Provinzbühne, schauerliches Amateurtheater. Man muß schon sehr verwöhnt sein, um daran Gefallen zu finden.
Bei der Pressekonferenz zu seinem Film Dead poets society wurde der Australier Peter Weir gefragt, wieso er seinen Film nicht im Wettbewerb haben wollte. Er erklärte, daß Künstler es seiner Meinung nach nicht nötig hätten, wie bei einem sportlichen Wettkampf nebeneinander in den Startlöchern zu hocken und beim Startschuß auf die Nachbarn zu schielen. Zwar habe er Verständnis dafür, daß das Publikum dieses Spektaktel möge, aber den Filmemachern als Künstlern stünde diese nicht an. Er hätte recht, wenn es wirklich Kunst wäre, was wir im Wettbewerb zu sehen bekamen.
Der Portugiese Monteiro spielt in seinem mit Silber prämierten Film Erinnerungen eines gelben Hauses selbst die Hauptrolle: einen armen Teufel, der von der Pension, in der er lebt, in eine Irrenanstalt kommt. Er kann ihr entrinnen und nimmt sich vor, es 'denen da‘ schwer zu machen. Kein grosses Kino, aber ein sympathischer Film, versponnen-selbstverliebt und selbstironisch. Papamamakind
Der Goldene Löwe für Hou XiaoXian liegt ganz im Trend des Festivals. Vor ein paar Tagen sprach ich von 'Familienbande‘ und hatte dabei vor allem zwei Filme im Auge. Jetzt läßt sich bilanzieren. In vierzehn von dreiundzwanzig Filmen des Wettbewerbs spielt die Eltern-Kind-Beziehung eine zentrale Rolle. Andriens Australia beschreibt eine halbe Stunde lang die Beziehung zwischen Vater und Tochter. Hauffs Blauäugig ist eine Vater-Sohn-Geschichte. Und bei dem in Venedig leider sehr wenig geschätzten Beitrag der sowjetischen Regisseurin Olga Naruckaja, Der Ehemann und die Tochter von Tamara Aleksandrowna läßt sich schon am Titel ablesen, daß es auch in dieser sehr bitteren Abrechnung mit der sowjetischen Realität um die Verwandtschaft geht.
Es gab die simplen Lobsänger vergangener Herrlichkeiten, der heiligen Triade Vater, Mutter, Kind. Es gab die sentimental-gebrochenen männerbündlerischen Ausflüge a la 'Wenn der Vater mit dem Sohne...‘ Ettore Scolas Che Hora e? ist so ein Film. Mit Marcello Mastroanni und Massimo Troisi. Resnais‘ I want to go home erzählt, wie Vater und Tochter sich wiederfinden.
Qualitativ sind all diese Filme natürlich nicht zu vergleichen. Es gibt widerlichen Blödsinn darunter wie Campiottis Corsa di Primavera - ein Film, der aussieht, als sei er direkt von der Sittenkommission des heiligen Offiziums bezahlt worden - und es gibt brillante Komödien wie Peter Halls She's been away. Hier wird eine Tante, die sechzig Jahre lang in einem Irrenhaus eingesperrt war, wieder in den Schoss der Familie aufgenommen und entfaltet dort ihre anarchische Kraft. Sie zerstört das scheinbare Glück von Papamamakind und hilft der Mutter, sich aus dem goldenen Käfig zu befreien. Ein Käfig, der deshalb so sicher gefangen hielt, weil ja alles aus Liebe geschah. Biedermeier
Es scheint Zeiten der Befreiung, des Aus- und Aufbruchs zu geben und dann wieder Epochen des Biedermeier, des heimischen Glücks. Der Festivalleiter von Venedig, Guglielmo Biraghi hat diesmal auf Biedermeier gesetzt. Sein Programm predigt von den Gefahren der großen weiten Welt und macht Reklame für Sicherheit und Geborgenheit. Immerhin fanden sich genügend Filme für solch ein Programm: Offenbar gibt es bei den Filmemachern zur Zeit eine Sehnsucht nach den Wonnen der Gewöhnlichkeit. Als schlechter Sohn und schlechter Vater habe ich wenig Verständnis für solche Idyllen.
Der Terrorismus des Familienlebens, die gewaltsamen Verschleppungen jeden Sonntag zum Spaziergang, die irrationale Allgewalt der elterlichen Verordnungen - all das ist mir zu widerlich in Erinnerung, zu präsent, als daß ich Trauer empfinden könnte darüber, daß Eltern und Kinder einander nicht verstehen. Daß sie nicht zueinander finden. Die wichtigste Tat ist die Entfernung von den Eltern. Wenn schon nicht die Trennung, dann wenigstens die Entfernung.
Henry Jagloms Neujahr, ein wunderschön dahingeplauderter Film, macht das witzig, hellhörig klar. Eine der drei Hauptpersonen, eine junge Frau, flieht von einer Küste der USA zur anderen vor ihrer Mutter, die sie täglich mit Anrufen, Vorwürfen und Liebesanträgen überschüttet. Indiana Jones
Wer Indiana Jones, Teil 3 gesehen hat, weiß, daß selbst der Held aller Helden seine Schwierigkeiten hat, den alten Herrn davon zu überzeugen, daß es besser ohne ihn geht. Auf den italienischen Filmplakaten sieht man Harrison Ford groß im Vordergrund. Dahinter, listig lächelnd, Sean Connery als Vater. Und drüber steht: „Diesmal bringt er Papa mit“. Daß der Sohn sich dann auch noch in die ehemalige Geliebte seines Vaters verliebt ...
Überlassen wir die Deutung dieser Geschichte den Lacanisten unter den Cineasten. Sie werden sich drauf stürzen, dafür hat Spielberg gesorgt. Er bedient nicht nur die Liebhaber des Special Effects. Sondern auch den neuen Trend zur Familienbande.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen