: Abschottung als Politik
■ Die Ausladung der SPD als Panikreaktion
Hätte es noch eines deutlichen Signals nach außen bedurft, die Führung der DDR hat es nun geliefert: In den oberen Etagen der SED herrscht Ratlosigkeit, die in offene Panik umzuschlagen droht. Noch vor zwei Jahren glaubte die SED, es sich leisten zu können, ein gemeinsames Papier mit der SPD zu verabschieden, zu dessen Essentials Offenheit für wechselseitige Kritik gehörte. Gemessen daran, ist die Ausladung der SPD-Delegation eine Farce: Einmischung in die inneren Angelegenheiten der DDR - ja, was denn sonst, Herr Sindermann?
Worüber sonst sollte im Moment geredet werden, als über die Situation der DDR, die immerhin dazu führt, daß täglich neue Gruppen von Aus- oder Übersiedlern in Passau anlanden. Wie sonst, als im Gespräch mit bundesdeutschen Politikern, will die oder eine zukünftige Parteiführung der SED eigentlich langfristig zu einer Veränderung der Situation kommen?
Für die Ausladung gibt es nur eine plausible Erklärung: In Ost-Berlin wird gerade noch in Zeiträumen von Tagen oder Wochen gedacht. Weil die alten, kranken Männer der SED nicht wissen, was sie der SPD-Delegation sagen oder anbieten sollen, tun sie beleidigt und verhelfen damit auch noch Kohl und Konsorten zu einem billigen Triumph.
Seit Wochen sieht sich die SPD nun ausgerechnet von der Bundesregierung mit dem Vorwurf konfrontiert, sie hätten mit den Altstalinisten kollaboriert, statt die Opposition zu unterstützen - daß die SPD trotzdem an einer Politik des Dialogs festgehalten hat und damit auf billigen Beifall verzichtete, spricht für die Ernsthaftigkeit ihres Anliegens. Daß die SED-Führung nicht mehr in der Lage ist, dies zu erkennen, ist das deutlichste Krisenzeichen der letzten Wochen.
Jürgen Gottschlich
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen