: Design of the Times
■ Butlers Wharf, Shad Thames, London SE1 2YD: Design Museum
Jörg Rheinländer
Es liegt nur einen Steinwurf entfernt vom südlichen Brückenkopf der Tower Bridge und direkt gegenüber dem St.Katherine's Dock: Das Design Museum ist die neueste Attraktion im an ebensolchen nicht gerade armen London. Wo auch sonst, denn just an dieser Stelle beginnt die Zone der Londoner Docklands, die - geht es nach den Wünschen der verantwortlich zeichnenden London Docklands Development Corporation und diverser Investoren - bis zum Jahr 2000 zum Paradebeispiel urbaner Rekultivierung werden soll: Stadt -Design im Großen.
Weil das Ganze aber eine schöne Stange Geld kostet, hat schon jetzt jener Prozeß der „Gentrification“ (gentryOberschicht) eingesetzt, der allein den ökonomischen Erfolg des gesamten Unternehmens zu garantieren vermag. Und da, wo die neuen Reichen aus der City ihre innenarchitektonischen Kleinode hinter ehemaligen Lagerhaus -Fassaden mit den Spitzenprodukten neuzeitlichen Designs ausstaffieren, da kann auch ein Design Museum nicht gänzlich fehl am Platze sein.
Fährt man mit dem eigens eingerichteten Riverbus-Service vom Tower Pier über die schmutzigbraun dahindümpelnde Themse, so bietet sich einem ein ebenso überraschender wie erfreulicher Anblick. Dem Betrachter präsentiert sich ein beinahe zu ungebrochen die Bauhaustradition adaptierendes Gebäude, das auch nicht ein einziges Zugeständnis an postmoderne Moden macht. Die Architekten Stuart Mosscrop und Richard Doone haben ein aus den fünziger Jahren stammendes Lagerhaus am südlichen Themseufer den Anforderungen des Design Museums entsprechend umgestaltet, ohne dabei die charakteristischen Details des ursprünglichen Gebäudes zu zerstören. Vor allem die zum Fluß hin terrassenförmig abfallende Gebäudeseite, die der Schiffsarchitektur entlehnten Relingen, aber auch ein vergleichsweise unauffälliges Accessoire wie der das Bauwerk krönende Fahnenmast lassen das in reinem Weiß erstrahlende Gebäude auf eine wunderbare schwerelose Art und Weise mit der Themselandschaft korrespondieren.
So unprätentiös sich das Museum von außen präsentiert, so freundlich, kühl und elegant wirkt es auch von innen. Funktionalität und Moderne, oft totgesagt und abgeschrieben, feiern hier eine unerwartete Auferstehung. Der sinnfällige Einsatz schlichter kubischer Formen, die beinahe meditative Ruhe der hellen Räume nimmt sich quasi selbst zurück und offeriert so dem Museumsbesucher, was er braucht: einen Raum, in dem die ausgestellten Objekte sprechen können, ohne gegen eine übermächtige, vereinnahmende Architektur ankämpfen zu müssen.
Nicht nur diese Architektur dürfte Steven Bayley, Direktor des neuen Design Museums im Sinn haben, wenn er seine Vorstellungen von der Konzeption des Museums mit dem Satz umreißt, man habe „ein Museum ohne Mauern“ gewollt. Bayley, der schon das Vorläufer-Projekt „Boilerhouse“ im berühmten Victoria & Albert Museum leitete, ist ohne Frage ein später Verehrer des Bauhausgedankens, doch ist seine Aussage wohl eher als Hinweis auf das Ausstellungskonzept zu verstehen. Nicht die „Yuppies“ und „Dinks“, sondern ein breites, an Design interessiertes und dafür zu interessierendes Publikum will man im neuen Haus ansprechen, und das ist zweifellos eine gute Idee: denn welche der uns täglich begegnenden Gegenstände leben nicht von ihrer Gestaltung? Das erste Museum seiner Art in Großbritannien, wie man an Butlers Wharf ganz ohne das typische Understatement mit einigem Stolz bemerkt, bietet in mehreren Abteilungen die Gelegenheit, sich Design auszusetzen und zu nähern.
Gemeinsam ist allen, daß die Objekte des täglichen Gebrauchs, aus ihrer angestammten Umgebung entfernt und zum Betrachtungsgegenstand erhoben, dem Besucher die Chance eröffnen, sie mit einem neuen, fremden Blick wahrzunehmen. Wer bereit ist, sich darauf einzulassen, wird bei einem Rundgang einige erstaunliche Erfahrungen machen können.
Review heißt jener Teil, der der Aufgabe dient, neue Produkte und Prototypen einem noch vor der Markteinführung zu präsentieren. Die Spannbreite der ausgestellten Objekte reicht von einfachen Konsumprodukten bis zum ausgefeilten High-Tech-Bedarf; in der Eröffnungsausstellung etwa vom Lautsprecher oder der Waschmaschine über ein computergesteuertes Niedervolt-Lichtsystem bis zur hypermodernen Bushaltestelle mit vollelektronischer Informationstafel. All die gezeigten Gegenstände zeichnen sich durch stilistische, technologische und/oder funktionale Neuerungen aus, und auch wenn man sich hin und wieder des Eindrucks nicht zu erwehren vermag, im Warenhaus der neunziger Jahre statt im Museum zu sein, so wird doch auf diese Weise eines besonders deutlich: daß Kultur und Kommerz offenbar mehr miteinander zu tun haben, als man sich gemeinhin eingestehen möchte.
Genauso heißt auch die erste Ausstellung im neuen „Boilerhouse“, das die Tradition der themenbezogenen Ausstellungen aus dem V&A Museum fortsetzt:Commerce and Culture.
Daß der Kommerz hier an erster Stelle steht, hat seinen Grund. Die Schau bebildert und variiert die provokative These, daß der Akt des Kaufens eine kulturelle Aktivität sei und daß sich die einst nicht existente Lücke zwischen Kunst und Kommerz heute wieder zu schließen beginne. Und da man sich schon im Museum aufhält, wird sorgsam darauf verwiesen, daß Museen und Kaufhäuser nicht nur Kinder der gleichen Epoche sind, sondern gegenwärtig in zunehmendem Maße frappierende Ähnlichkeiten offenbaren. Was auf den ersten Blick verwegen klingt, leuchtet jedoch unmittelbar ein, wenn man sich an die Horden von Besuchern (nicht Käufern!) im Londoner Harrods-Kaufhaus oder im Berliner KaDeWe erinnert; und wird nicht das Bild des heutigen Museums geprägt auch und zuallererst - nämlich gleich mit dem Betreten des Gebäudes - von den die Ausstellungen flankierenden Läden?
Daß diese angebliche Macht des Faktischen zu hinterfragen und nicht einfach zu goutieren sei, mag man den Verantwortlichen mit Recht vorwerfen, und auch die etwas zu ungebrochen konstruierte Linie von Watteaus L'Enseigne de Gersaint - einem Gemälde, das 1719 ursprünglich als Auftragsarbeit und Ladenschild angefertigt wurde - zum „Teleshopping“ der Gegenwart ruft Widerspruch hervor. Doch die Qualität der auf hervorragende Weise aus Texten, Bildern und Objekten zusammengestellten Präsentation leidet darunter nicht, und fast ist man geneigt, sie deswegen gar zu loben: Endlich kann man sich an etwas stoßen, und Ausstellungen, die die Diskussion geradezu herausfordern, sind ohnehin viel zu selten.
Den Abschluß bildet die ständige Ausstellung des Museums, die Study collection. 400 Objekte werden in thematischen Sektionen vorgestellt, um Innovation, Erfolg und Mißerfolg sowie den Einfluß des Marktes auf das Design zu verdeutlichen. Die einzelnen Abteilungen sind noch einmal untergliedert, so daß man beispielsweise im Bereich „Büro“ sowohl die Entwicklung des Füllfederhalters, der Schreibmaschine als auch des Bürostuhls - um nur einen Ausschnitt zu benennen - verfolgen kann. Die übersichtliche und sinnreiche Anordnung der Gegenstände in großzügigen Vitrinen wird ergänzt durch ausführliche Beschreibungen, Videos, einen ausleihbaren Audio-Guide und eine für jeden zugängliche Computerdatei. Weder eine abgeschlossene Geschichte des Designs in unserem Jahrhundert noch eine Show der zu Kultgegenständen avancierten Artefakte wird intendiert: Auch wenn der Wassily-Chair und der Thonet-Stuhl nicht ausgeschlossen werden, so bilden sie doch die Ausnahme - das Alltägliche der alltäglichen Gegenstände überwiegt.
Resümierend bleibt festzuhalten, daß entgegen einem sicher nicht ganz unbegründeten Verdacht bezüglich eines besonders vom Standort bewirkten elitären Bewußtseins mit dem Londoner Design Museum ein Ort geschaffen wurde, der tatsächlich zum Forum der Auseinandersetzung mit der Kunst der Gestaltung werden könnte und dessen Bedeutung auch jenseits der Grenzen des Vereinigten Königreiches Anerkennung finden können wird. Ein Unbehagen aber bleibt: Die Liste der lobend erwähnten Sponsoren ist lang und reicht von Black & Decker über Fiat und Rolls Royce bis hin zur British Telecom. Und auch wenn Bayley vehement bestreitet, daß dies oder die Schirmherrschaft der Conran-Foundation, die am Bauboom der Docklands heftig mitverdient, in irgendeiner Weise kompromittierend sei, ist Vorsicht geboten. Oder wie soll man es verstehen, daß der französische Perrier-Konzern, der die „Happy few“ mit Mineralwasser versorgt, die Eingangshalle quasi gepachtet hat, um Ausstellungen aus dem Bereich Graphik-Design zu finanzieren - wie schön! -, um dann wie zufällig in naher Zukunft „10 Years of Eau - Leo Burnett's campaign for Perrier“ zu präsentieren?
Die Ausstellung Commerce and Culture läuft bis zum 15.Oktober, der gleichnamige Katalog kostet in der Ausstellung 12 Pfund.
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