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„Was sind das bloß für Leute ?“

■ Die Kirche von unten, die UFA-Fabrik in Ost-Berlin, soll ihre Räume in der Elisabethkirchstraße verlieren / Nachbarn klagen über ruhestörenden Lärm und das Outfit der Besucher / Treff für unangepaßte Jugendliche / Theater, Musik und Politdiskussionen

Seit Anfang 1989 hat die KvU („Kirche von unten“ ) - ein Zusammenschluß verschiedener Gruppen der offenen Jugendarbeit bei der evangelischen Kirche in der DDR eigene Räume in der Ostberliner Elisabethkirchgemeinde. In zwei Sälen und einem Büro konzentriert sich hier seitdem ein buntes Völkchen von unangepaßten, renitenten Leuten, die ihre Freizeit selbst organisieren, denen die UFA-Fabrik im Westteil der Stadt als Vorbild dient.

Gegenwärtig sieht es so aus, als würden sie diese Räume wieder verlieren. Noch wird mit der Gemeinde und der Kirchenleitung verhandelt, aber der Widerstand gegen das unkontrollierbare Potential aus der Alternativszene kommt von allen Seiten. Klar, daß die manchmal etwas schräg aussehenden Gäste abendlicher Punkkonzerte und ihre unkonventionellen Vorstellungen vom christlichen Gemeindeleben mit Mißtrauen zu rechnen haben. Da vermuten die Hüter der „öffentlichen Ordnung“ den Hort einer staatsfeindlichen Organisation, da beschweren sich normalisierte Bürger auftragsgemäß über ruhestörenden Lärm und klirrende Flaschen, da rückt schon mal eine Polizeitruppe an, um „Fahndungskontrollen“ durchzuführen. „Es gibt Verstimmung und Unruhe, Ärger und Anfragen, Kopfschütteln und Ablehnung über die Kirche von unten“ beginnt die neueste Flugschrift aus der Informationsgruppe.

„Was sind das für Leute, die da aus- und eingehen, und wie die schon aussehen! Polizei war da, ein paar wurden abgeführt - also entsteht Angst, manche Bewohner im Kiez trauen sich nachts nicht auf die Straße. Ist das ein besseres Bierlokal oder ein Jugendklub? Und was hat das mit Kirche zu tun? Auch der Pfarrer schimpft über die Leute.“ So werden die Vor-Urteile zusammengefaßt. Die Mitarbeiter der KvU fordern dazu auf, genauer hinzusehen, zur Kenntnis zu nehmen, daß dort nicht nur laute Musik gespielt wird, sondern auch Gruppenarbeit, Gottesdienste, Diskussionsrunden und Kulturveranstaltungen laufen. „Da engagieren sich die Leute“, heißt es, und: „Die Kirche von unten ist endlich eine Aufgabe für sie und so etwas wie ein Zuhause.“

Außer den „fliegenden Blättern“ gibt die Info-Gruppe auch eine eigene Zeitung namens „MoAningstAr“ heraus, eine Theologiegruppe befaßt sich mit dem Verhältnis zur konservativen Religion, eine Kulturgruppe organisiert Konzerte und Lesungen, eine Antifa-Gruppe beobachtet die Fascho- und Skinszene, eine Theatergruppe spielt aufmüpfige Stücke, und die Cafegruppe sorgt für anregende Getränke. Bei den Kommunalwahlen im Mai wurde hier das Mitzählen der Ergebnisse koordiniert, anläßlich des Massakers in Peking tönte eine Woche lang eine Trommel aus den Räumen der KvU. Darüber beschwerten sich wiederum Anwohner.

Mit Jesus zum

reformierten Sozialismus

Die Kirche von unten hat außer einem selbstgewählten Pfarrer keine Hierarchie, keine Funktionäre und Leiter. Alle Beschlüsse werden von der Vollversammlung gefaßt. Theologisch begründet die KvU sich über den Außenseiter Jesus: „Jesus will Leute, die sich auflehnen gegen die Welt, wie sie ist, um nichts mehr und nichts weniger geht es uns.“ Hervorgegangen ist die KvU aus zwei autonom veranstalteten „Kirchtagen von unten“, die parallel zu offiziellen Kirchentagen '87 in Berlin und '88 in Halle stattfanden. Nach einer Talsohle von Frust und innerer wie äußerer Abwanderung einiger Aktiver ging es mit der KvU in den Räumen der Elisabethgemeinde wieder aufwärts. „Die Kirche von unten soll ein Modell herrschaftsfreien Lebens miteinander sein. Deswegen lehnen wir restriktive Maßnahmen, Beaufsichtigung, Bevormundung ab. Was wir wollen, ist der eigenverantwortliche, mündige und autonome Mensch. Natürlich wissen wir, daß wir auf diesem mühseligen Weg noch lange nicht so weit sind. Laßt uns dafür Zeit!“ So endet die aktuelle Flugschrift der KvU.

Ihre Perspektive sieht die KvU in einem reformierten Sozialismusmodell. Für die gegenwärtige Stagnation werden die Mächtigen verantwortlich gemacht, und von den Leuten in der DDR wird verlangt, sich in ihre eigenen Angelegenheiten einzumischen: „Wenn wir lernen, uns trotz unterschiedlicher Meinungen gelten zu lassen, ohne mit Machtworten und Machtkämpfen zu kommen, dann sind wir auf dem Weg in die Zukunft einer sich verändernden und überlebensfähigen Gesellschaft schon ein gutes Stück weitergekommen.“ Rüdiger Rosentha

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