: Plagiat-Papalagi?
■ In Stuttgart soll heute vor Gericht entschieden werden, ob das Kultbuch „Der Papalagi“ das Produkt eines plumpen geistigen Diebstahls ist
Im Frühling 1914 reiste ein jugendbewegter Wandervogel, der 36jährige Erich Scheurmann, nach Samoa, damals deutsche Kolonie. In der Tasche hatte er das Honorar und den Auftrag eines Verlegers für eine „nette Südseegeschichte“. Zwar verhinderte der Erste Weltkrieg, daß er länger ungestört auf der Insel herumstöbern konnte. Aber seine Geschichte lieferte er trotzdem ab: Der Papalagi. Die Reden des Südsee-Häuptlings Tuivaii aus Tiavea. 1920 erschienen sie erstmals - schon damals mit großem Erfolg. 1927 trat Scheurmann der NSDAP bei, schrieb später Gedichte für Hitlers Geburtstag und den Südsee-Roman Zweierlei Blut, voll rassistischer und kolonialistischer Tropen-Romantik.
Dessen ungeachtet avancierte sein „Papalagi“ in den 70er und 80er Jahren zum Kultbuch der Alternativszene. Über eine Million Exemplare sind inzwischen verkauft. Schon damals stand es in allen Zeitungen: Der „Papalagi“ versammelt keineswegs die Zivilisationskritik eines vermeintlichen Tropen-Gurus, sondern ist nichts weiter als ein verlogenes Stück Südseemythos-Kitsch, erfunden von Scheurmann persönlich. Schon damals wies der Ethnologe Cain nach, daß Scheurmann keine Ahnung hatte: Kolibris, Glühwürmchen, Seemöwen und Kröten gibt es nur in seinem Buch, nicht auf Samoa. Und schon seit Jahren weisen die Rezensenten darauf hin, daß der „Papalagi“ abgeschrieben ist. Zwei Jahre vor des Wandervogels Tropenexpedition nämlich hatte ein anderer jugendbewegter Deutscher, Hans Paasche, die fiktive Forschungsreise des Afrikaners Lukanga Mukara ins innerste Deutschland in der Zeitschrift der 'Vortrupp‘ veröffentlicht. Paasches „Forschungsreise“ thematisiert mit deutlich antikolonialistischen Akzenten die Mechanismen der Enteignung und Ausbeutung. Woraufhin Paasche für verrückt erklärt und 1920 vom berüchtigten Freikorps „Brigade Ehrhardt“ ermordet wurde.
Im Nachwort zur 1988 beim Donat-Verlag erschienen Neuausgabe des Paasche-Buches und zur 1989 von Goldmann auf den Markt geworfenen Taschenbuchausgabe hatte Iring Fetscher geschrieben: „Daß ein ungeschicktes Plagiat, das den Afrikaner in einen Südsee-Häuptling verwandelt und seine Kritik verharmlost, zu einem Kultbuch werden konnte, spricht für den ursprünglichen Text.“ Gegen dieses Nachwort nun hat der Schweizer „Papalagi„-Verlag Tanner&Staehelin Klage erhoben. Fetschers Plagiat-Vorwurf sei verleumderisch und geschäftsschädigend. Nun wird also ein Gericht darüber befinden müssen, ob Wettbewerbsrecht vor Meinungsfreiheit geht und ob Scheurmann abgeschrieben hat oder nicht. Eine erste Verhandlung gegen den Goldmann-Verlag fand bereits am 5. September statt, die gegen Donat beginnt heute vor dem Stuttgarter Landgericht. Das Urteil wird für Oktober erwartet.
chp
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