Botanisierungen der Realität

■ Zum europäischen Medienkunst-Festival in Osnabrück

Der Blick auf das Wasser gehört bei Kurz- und Experimentalfilmern offenbar zur Grundübung. Das diesjährige Osnabrücker Festival legt diesen Verdacht jedenfalls nahe: ob sprudelnd, gurgelnd, spritzend oder still und majestätisch dahinfließend - in zig Versionen kommt es einem von der Leinwand entgegen, angefangen beim ersten Film des Festivals, Unter Horizont, einer Unterwasserballet -Ballade mit schwimmender Frau, bis zu den Filmen von Peter Greenaway, die in der Retrospektive gezeigt wurden. Alles fließt - fragt sich, was dahinter steckt. Vielleicht ist das Wasser ja nur geduldiges Modell bei den ersten „Botanisierungen der Realität“ in den Filmdosen. Ein Sprung in die Wirklichkeit ist bei den Jäger- und Sammlertouren allerdings selten zu beobachten.

Höchstens daß es manchem gewissermaßen passierte. Dem Videokünstler Paul Garrin zum Beispiel, der zufällig im New Yorker East Village einen Polizei-Krawall filmte und dabei selbst verprügelt wurde. Das Dokument des Straßenkampfes konnte er den großen Fernsehanstalten verkaufen; er wurde zum Medienheld, der schließlich, der Manipulation verdächtig, diese Szenen zu anderen Gewalt- und Kriegsbildern aus dem TV montierte. Das Ergebnis ist ein seltsamer Gesang um die Macht der Bilder.

Ein anderes Lieblings-Thema der Medienkünstler: die Seele. Die Filme transportieren Ähnliches wie die Bekenntnisliteratur der 70er Jahre. Typisch dafür etwa Tabu I-IV, in dem Michael Brynntrup sein Tagebuch in aller Breite samt narzistischen Regungen und Operationsvorbereitungen vorstellt, verklärt von postmodernen Zweifeln an der richtigen Form. Werner Biedermanns Persiflage auf das Liebesleben bei Tagungen, Kongressen und Festivals wurde vom Publikum dagegen ungnädig aufgenommen. Die in Werbefilmmanier erzählte Bildergeschichte griff wohl zu sehr unter die Gürtellinie der Wahrheit.

Bei den europäischen Länderprogrammen wurde neben der DDR auch die polnische 'Werkstatt‘ Lodz gewürdigt: Erstaunlich, wie neu noch heute viele dieser zum Teil über 10 Jahre alten Filme wirken. Und erschreckend, wie viele westliche Filmemacher diese Arbeiten nicht kennen und bei ähnlichen Ergebnissen auf Originalität bestehen. Auffällig in Osnabrück war jedenfalls die geradezu neurotische Fremdelei und Abgrenzung voneinander.

Neben den Filmen wurden wie immer auch viele Videoproduktionen präsentiert, eine gute Möglichkeit also, beide Medien zu vergleichen. So wurde Martin Arnold gefragt, warum er denn sein Piece touchee nicht im Videoschnitt bearbeitet hätte. Arnold hatte eine 18 Sekunden lange Sequenz aus einem amerikanischen B-Picture der fünfziger Jahre in winzige Bewegungen zerschnitten, umgedreht, gespiegelt, zurückgespult etc. Das legt nicht nur die Möglichkeiten und Manipulationen der Kamera, des Lichts, des Schnitts offen zutage, sondern enttarnt auch das Hin und Her zwischen Ihr und Ihm in seiner ganzen Verlogenheit und Ideologie.

Die Frage nach dem richtigen Medium konnte Arnold übrigens nicht beantworten. Vielleicht wollte er es auch nicht.

Johanna Schenkel