: Schuldenerlaß zwischen Hauptgang und Sorbet
IWF und Weltbank haben wieder Jahrestagung / Brady-Plan und Quotenaufstockung / Auch interessant: Die Bankengespräche am Rande ■ Von Ulli Kulke
Nach den aufregenden Tagen vor Jahresfrist in Berlin werden die Angehörigen von Weltbank und Internationalem Währungsfonds mal wieder ein ruhiges Heimspiel in Washington absolvieren können. Die Vorkonferenzen zur Jahrestagung 1989 beider Welt-Finanzorganisationen beginnen am heutigen Tage, und daß es dabei unspektakulärer als im vergangenen Jahr zugehen wird, hat zwei Gründe. Die Nichtregierungsorganisationen (NGO) in den USA, die die Politik von IWF und Weltbank kritisch verfolgen, setzen weniger auf öffentlichkeitswirksame Großdemonstrationen und Gegenveranstaltungen als ihre europäischen Kollegen, und pflegen bisweilen gar den Dialog oder bemühen sich um Druck auf die Institutionen über ihre Regierung, den größten Geldgeber. Zum zweiten sind die emotionalen Wellen aktuell etwas abgeebbt, da nach den Kampfdemonstrationen für sofortige Schuldenstreichung, die in Berlin noch auf kategorische Ablehnung stießen, inzwischen erste Einsichtsprozesse der anderen Seite vorsichtig anerkannt werden. So ließ die federführende Organisation der 88er Berliner Gegenkampagne, der Bundeskongreß entwicklungspolitischer Aktionsgruppen (Buko), in ihrer gestrigen Presseerklärung unter Hinweis auf den Plan des US -Finanzministers zur Schuldenreduzierung verlauten: „Noch vor einem Jahr war der Forderungsverzicht für die Banken ein Tabu. Mit dem Brady-Plan wurde dies Tabu nicht nur gebrochen, sondern es zeigt sich jetzt in dem Mexiko-Modell, daß teilweise Schuldenstreichung als notwendig und möglich erachtet wird“ - wobei der Buko freilich davon ausgeht, daß Brady nur den Zugriff auf die Dritte Welt verstärken wolle.
Als erste beginnt heute die „Gruppe der 24“, die Vertretung der Entwicklungsländer bei Weltbank und IWF, mit ihren dreitägigen Beratungen. Dabei dürfte es unter anderem auch um den Plan der UN-Organisation für Afrika (ECA) für Alternativen zur Weltbank-Strukturanpassungspolitik (siehe Wirtschaftsseite von gestern) gehen.
Die Sitzung der noblen „Gruppe der 10“ wichtigsten Industrieländer wird es sich auf ihrer eintägigen Sitzung am Sonntag nicht nehmen lassen, die Aussichten des Kapitalismus in den reformfreudigen Ostblockländern zu ventilieren, und im Zweifel Bedingungen für gemeinsame Hilfsprogramme auszuloten.
Am Montag dann wird das eigentliche Entscheidungskomitee des IWF, der Interims-Ausschuß, zur Sache gehen: Wann wird das Kapital des IWF, die Länderquoten, aufgestockt, und vor allem um wieviel? In seiner Frühjahrstagung hatte der Ausschuß das Exekutivkomitee beauftragt, bis zum Jahresende 1989 Vorschläge auszuarbeiten. Die bisherigen Vorstellungen reichen bis zu einer Verdoppelung der derzeitigen 90 Milliarden „Sonderziehungsrechte“ (rund 118 Milliarden Dollar). Erst in der letzten Zeit haben die USA ihren grundsätzlichen Widerstand gegen jedwede Aufstockung gelockert. Interessant wird's, wenn es um die Verteilung geht. Japan, das sich aufgrund seiner explodierenden Finanzkraft und dem sehr starken Engagement in der Kreditvergabe an die Schuldnerländer bereits in der Weltbank auf Platz 2. der Kapitaleinlagen- und Stimmrechtsliste vorgeschoben hat, fordert Entsprechendes nun auch beim IWF (derzeit Platz 5). Der Listenplatz 3 der Bundesrepublik scheint unangefochten. Der Altmeister unter den Finanzgrößen und die derzeitige Nr. 2, Großbritannien, dürfte jedoch ähnlich wie alternde Tennisgrößen in der Weltrangliste zurückfallen, wahrscheinlich auf Platz vier oder fünf.
Der gemeinsame Entwicklungsausschuß von IWF und Weltbank wird - ebenfalls am Montag - die Kreditpolitik beider Institutionen und insbesondere die Auflagen an die Schuldnerländer zu Anpassungsprogrammen debattieren. Da der IWF auch Mittel zum Abbau der Bankschulden Mexikos nach dem Brady-Plan bereithält, dürfte auch die Initiative des US -Finanzministers zur Sprache kommen und über neue Brady -Kandidatenländer (Venezuela?) debattiert werden. All dies läuft hinter verschlossenen Türen, und wenn dann am Dienstag die offizielle dreitägige Hauptversammlung mit Festreden eröffnet wird, ist das Entscheidende vorbei.
Regelmäßig erwecken indes nicht nur die Tagesordnungspunkte der Komitees und Ausschüsse Aufmerksamkeit. So dürfte nicht nur die Fachöffentlichkeit daran interessiert sein, ob Mexikos Chefumschuldner Angel Gurria und der Chefunterhändler der Gläubigerbanken des Landes, William Rhodes, die dringend notwendigen Einzelheiten des erst grundsätzlich beschlossenen „Brady„-Abkommens für Mexiko auf die Reihe bekommen. Die Geschäftsbanken schließlich mieten stets zur Jahresversammlung jede halbwegs repräsentative Villa der US-Hauptstadt für fünfstellige Dollarsummen zum Zwecke der Selbstdarstellung - oder chartern Potomac -Raddampfer für aufwendige Buffets. Dann wird nach Kräften von sich und den Vorstellungen über die Finanzwelt Reden gemacht, auf daß die Leiber Medienvertreter kräfig ansetzen. So ist die bundesdeutsche Presse schon jetzt darauf gespannt, mit welchen Erklärungen zur Schuldenbewältigung der Chef der Deutschen Bank, Alfred Herrhausen, zwischen Hauptgang und Sorbet aufwarten wird. Seine aktuellste Vorgabe: 50 Prozent Bankschulden streichen!
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