: Hessisches Gericht stoppt Tiefflieger
■ Verwaltungsgerichtshof in Kassel verbietet Luftwaffenflüge unter 300 Metern über Krankenhausbereich / Das Verteidigungsministerium knirscht mit den Zähnen: Die Verteidigungsbereitschaft der Bundeswehr wird in unzumutbarer Weise beeinträchtigt
Berlin (taz/dpa) - TieffluggegnerInnen in der Bundesrepublik haben einen gerichtlichen Teilerfolg erstritten. Zum ersten Mal hat jetzt ein Oberverwaltungsgericht (OVG) mit sofortiger Wirkung Tiefflüge der Luftwaffe unter 300 Metern in einer Region gestoppt. Der Hessische Verwaltungsgerichtshof (VGH) in Kassel entschied am Dienstag, daß die Flieger der Bundesluftwaffe nicht mehr über die im Landkreis Darmstadt-Dieburg liegenden Krankenhäuser hinwegdonnern dürfen. Die Oberverwaltungsrichter ordneten dabei die vorläufige Vollstreckbarkeit eines Tiefflugstopps an, der zuvor schon vom Verwaltungsgericht Darmstadt verhängt, aber nicht in die Praxis umgesetzt worden war. Dieses begrenzte Tiefflugverbot gilt damit bis zu der endgültigen Entscheidung im Hauptsacheverfahren. Ein Termin hierfür ist im nächsten halben Jahr kaum zu erwarten. (AZ: VGH Hessen 2S576/89).
Das sofort in Kraft tretende Tiefflugverbot über diesem Landkreis gilt allerdings nur für den Höhenbereich unter 300 Metern und nur für die Maschinen der Bundesluftwaffe, nicht jedoch für die Flieger der Alliierten. Dennoch hat das Kasseler Urteil grundsätzliche Bedeutung. Die Kasseler Oberverwaltungsrichter vertraten nämlich eine genau andere Rechtsausffassung als kurz zuvor ihre Kollegen vom OVG Lüneburg, die im letzten Monat mit einer Tiefflugentscheidung Maßstäbe gesetzt hatten. Die Lüneburger Richter hatten in zweiter Instanz ein Tiefflugverbot über zwei niedersächsischen Landkreisen aufgehoben, das u.a. die Gemeinde Cloppenburg gerichtlich erstritten hatte. Dieser Stopp währte aber insgesamt nur sechs Wochen, das OVG Lüneburg erklärte ihn für rechtswidrig. Die Lüneburger Richter begründeten ihre Entscheidung damit, daß die militärischen Belange der Bundesluftwaffe so bedeutend seien, daß ein Tiefflugverbot nicht sofort vollstreckbar sei, sondern bis zu einer Entscheidung im Hauptsachverfahren abgewartet werden müsse. Auch vor dem hessischen VGH hatte das Bundesverteidigungsministerium am Dienstag argumentiert, eine sofortige Vollstreckung des Tiefflugverbots würde die Verteidigungsbereitschaft unzumutbar beeinträchtigen.
Die hessischen Richter zeigten sich davon jedoch unbeeindruckt. Im Gegensatz zu ihren Lüneburger Kollegen sahen sie keine Veranlassung, den militärischen Flugbetrieb als „Ausübung der öffentlichen Gewalt“ vom normalen Vollstreckungsschutz auszunehmen und ordneten die sofortige Vollstreckung des Flugstopps an. Das Bundesverteidigungsministerium erklärte gestern auf Anfrage zähneknirschend, man müsse sich wohl an das gerichtlich verordnete Flugverbot in diesem Höhenbereich halten. Betroffen von dieser Entscheidung sei dabei nicht nur das Gebiet um die Kliniken im Landkreis Dieburg, sondern ein ganzer Flugbereich, denn gerade im Raum Hessen gäbe es keine Ausweichmöglichkeiten. Wieviele Tiefflieger aufgrund dieser Entscheidung jetzt am Boden bleiben müssen, könne man jedoch noch nicht sagen.
Vera Gaserow
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