Wiedervereinigungsfrage unter Zeitdruck

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(Im Brennpunkt, 20.9., 22.00 Uhr, ARD) Während von unseren Nachbarn das Thema Wiedervereinigung vorurteilslos diskutiert wird, haben wir große Probleme damit. Mit diesem Satz führte Martin Schulze in eine Sendung ein, zu dem er die Zuschauer in diesem und dem anderen Teil Deutschlands willkommen hieß. Damit aber war das Terrain für eine Diskussion abgesteckt, für die die ARD eine Brennpunkt -Sendung reserviert hatte. Aktuell, informativ und diskursiv, die Chancen des Mediums nutzend, das hätte sie sein können, wäre da nicht ein zentrales Manko gewesen, das der mangelnden Zeit. Denn das hätte allen Beteiligten von vornherein klar sein müssen, daß ein solch komplexes Thema, das der Frage nachgeht: Wer hat Angst vor der Wiedervereinigung? nicht in einer halben Stunde, sprich 30 Minuten, abzuhandeln ist.

So löblich es auch war, in zwei kurzen Einspielungen aus Paris und Warschau die Vorurteile als auch die Vorurteilslosigkeit unserer Nachbarn in bezug auf die Wiedervereinigungsfrage zu demonstrieren, und so vordergründig Eindrucksvoll nun auch die Zahlen einer Blitzumfrage zum gleichen Problem waren - über den sinnvollen Einsatz demoskopisch erhobener Daten in solcherart Sendungen müßte ohnehin einmal nachgedacht werden - zu einer Standpunktfindung haben sie wenig beigetragen. Im Gegenteil, hier wurde wertvolle Zeit geopfert, die den Diskutanten verlorenging. Denn was die, teils per Direktleitung zugeschalteten „Experten“ in Sachen „Gesamtdeutschland“ da zu sagen hatten, das wäre es wert gewesen, in einer Open-end-Diskussion in all ihren Facetten ausgeleuchtet zu werden. Was sage ich, eine ganze abendfüllende Sendung hätte man hier konzipieren müssen. Nur so war Halbherzigkeit trumpf: Weder konnte Günter Grass seine Vorstellungen von einer Konförderation der beiden deutschen Staaten ausbreiten, noch Stefan Heym seine Idee von einer Demokratie mit sozialistischer Prägung. Am ehesten gelang es da noch den beiden Politikern, Oskar Lafontaine und dem frisch gekürten CDU-Generalsekretär Volker Rühe, ihre Positionen einigermaßen plausibel darzustellen. Der erste votierte für eine Annäherung auf der Ebene eines vereinten Europas, der andere für das Selbstbestimmungsrecht der Menschen in der DDR, die gefälligst selbst darüber zu entscheiden hätten, wie die Gesellschaft auszusehen hätte, in der sie leben wollten. Aber bevor es auch schon ans Eingemachte ging, war die Diskussion, kaum in Gang gekommen, schon beendet. Bedenkt man, für welchen Schwachsinn die Sendezeiten da halbstundenweise überzogen werden, bekommt man Tränen in die Augen.

Karl-Heinz Stamm