ZEIT-DEMONTAGE

■ Kunstvideos aus Chile im „Sputnik“

Zwei Männer spielen Billard, ein Telefonat unterbricht sie, ein kurzes Kopfnicken, und sie gehen an die Arbeit: eine schnelle Hausdurchsuchung, die noch schnellere Liquidation ihres Opfers und seine Beseitigung, dann kehren sie gleichmütig zurück zu ihrem Billardspiel und aus einer Soundcollage erklingen wie schon am Anfang Fetzen von Glenn Millers In The Mood. Pinochets Schergen arbeiten unauffällig und beiläufig, sie beseitigen effektiv, weil sie keinen großen Lärm schlagen - Francisco Vargas entgegnet diesem stummen Verschwinden, dieser alltäglich kaum wahrzunehmenden Repression mit einer sich bedrohlich steigernden Alltagsgeräuschkulisse. In harten Schwarz-Weiß -Bildern heftet sich die Kamera an die agierenden Personen und macht den Zuschauer zum Zeugen, der angesichts solcher Verbrechen nicht schweigen und wegschauen kann.

Es irritiert zunächst, einen Videofilm wie Vargas‘ In The Mood im Rahmen einer Filmreihe vorzufinden, die ergänzend zu einer Ausstellung chilenischer „Konzepte zeitgenössischer Kunst“ zusammengestellt wurde - doch diese Irritation hat Sinn und Methode, weil Vargas die in der Videoszene übliche Alternative von Kunst oder Politikvideo unterläuft. In The Mood ist trotz seines immens politischen Gehalts ein künstlerisches Video, weil es sich mit den spezifischen Eigenarten und Möglichkeiten des Videofilms auseinandersetzt, auf der Suche nach einer selbständigen Bildersprache, die Inhalte transportiert in Form forcierter, aber nicht sinnentleerter Videoclips.

Noch biographisch geprägt durch die Epoche der Unidad Popular, zählen Videofilmer wie Vargas, Gloria Camiruaga und Nestor Olhagaray zu einer Generation, die politisch eindeutig durch ihre Opposition gegen Pinochets Diktatur bestimmt ist, der aber der Glaube an eine grundlegende demokratische Umwälzung in ihrem Land fehlt. Sie beanspruchen für sich eine künstlerische Ästhetik, die die irreparable Zerstörung der chilenischen Gesellschaftsstrukturen durch die Diktatur konstatiert. Das bedeutet aber alles andere als einen Rückzug aus der Realität, einen Eskapismus in eine beliebige, Hauptsache bunte Videoästhetik: Nestor Olhagarays Videofilm Interview -Story ist ein kleines Kunststück an Manipulation von Manipulationstechniken, die von der Diktatur zu Propagandazwecken im Fernsehen eingesetzt wurden. Einen anläßlich des Plebiszits ausgestrahlten Pro-Pinochet -Werbespot, der als Untergangssymbol einen apokalyptischen Reiter mit einer roten Fahne zeigt, verkehrt Olhagaray durch eine ausgeklügelte Zeitlupe in ein Symbol der Befreiung. Daß die mörderische Realität der Diktatur auch im Alltag der kaum politisierten Menschen ihre Spuren hinterläßt, zeigen Gloria Camiruagas Dokumentarvideos. In Performance San Martin wird eine junge Prostituierte von ihrem Freier, der nicht zahlen will, umgebracht; ein Mord, der ungesühnt bleibt, nicht, weil das Schwein unerkannt entkommt, sondern zur Armee gehört.

DOA

„Kunstvideos aus Chile“ bis 28.9. im Sputnik Südstern; heute und morgen, 20.30 Uhr, Filme von Gloria Camiruaga, Francisco Vargas, Francisco Arevalo u.a.