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Kleine Freiheit auf dem Bauernhof

Wenig Alternatives auf dem Bauernhof der Ökoszene: Die Bäuerin versorgt Kinder, Küche und Kühe, der Bauer ist zuständig für den Maschinenpark / Erste unkonventionelle Versuche junger Bäuerinnen, sich von ihrer abhängigen Stellung auf dem Hof zu befreien  ■  Von Inge Inderwisch

„Wenn Rudolf sich die Schürze umbindet, flippen die Tanten aus.“ Irene Leifert, die mit ihrem Mann einen 27 Hektar großen Bioland-Hof am Ostrand des Ruhrgebiets bewirtschaftet, beschreibt einen Aspekt des alltäglichen Mehrfronten-Kampfes um eine veränderte Rollenteilung und um Gleichstellung der Bäuerinnen. Was sie und ihre Geschlechtsgenossinnen bewegt, wurde jetzt in einem Projekt der Uni Dortmund, Fach Raumplanung, untersucht. Thema: Bringt alternative Landwirtschaft auch mehr Rechte für Bäuerinnen? Provokant gefragt: Ist ein Biobauer-Mann ein anderer Mann?

Von den klassischen drei Ks - Kinder, Küche, Kühe - hat sich nicht nur Irene Leifert verabschiedet. Mit dem Aufbau der Molkerei, dem Zugpferd des Leifertschen Hofes, ist sie in den Bereich Erwerbsarbeit vorgestoßen. „Zwei Drittel der Hofeinnahmen stammen aus dieser Quelle“, erzählt sie. Verarbeitung und Vermarktung der Vorzugsmilch beschäftigen sie zehn Stunden am Tag: melken, abfüllen, Vertrieb organisieren.

Sie versorgt Großhändler und Bioläden, verkauft auch die Milch ab Hof. Außerdem beliefert Irene Stadtkunden: Zweimal wöchentlich fährt sie mit ihrem Lieferwagen die Kundschaft ab. Wenn Irene Geld verdient, löst sich der Haushalt des Zwölf-Personen-Hofes jedoch nicht in Wohlgefallen auf. Von diesen zwölf Bewohnern haben jedoch nur drei - Irene, Rudolf und dessen Vater - ihre Arbeit auf dem Hof. Der Rest (Tanten, Brüder nebst Familien) lebt nicht von der Landwirtschaft. „Diese Konstellation ist ein wahrer Segen“, meint Irene und delegiert die ungeliebte Hausarbeit auf Tanten und Schwiegermutter. „Die haben mehr Zeit und Lust dazu“, meint sie.

Weiblich bleibt diese Art damit allemal. Auch anderswo sind es Mütter, Schwiegermütter und weibliche Haushaltshilfen, die Kinder und Küche übernehmen, so das Ergebnis der Untersuchung.

Und die Männer? Die ackern und treckern wie zu Großvaters Zeiten. Alternativ ist die Landwirtschaft, aber nicht die Arbeitsteilung. Nur während der Erntezeiten vermischen sich die Zuständigkeiten. Wegen krassen Mangels an Arbeitskräften wird die Bäuerin zum Ernteeinsatz abgestellt. Was aber im Umkehrschluß nicht heißt: Der Bauer schält Kartoffeln.

Vor sieben Jahren heiratete Irene von jenseits der „Religionsgrenze“ in den Hof ein. Ohne viel Ahnung von Ackerbau und Viehzucht, aber mit einem „Ersten Staatsexamen“ in Geographie und Wirtschaftswissenschaften. Rudolf, der ausgebildete Landwirt, setzte seine Frau erst einmal im Haushalt ein. Ihr Einstieg in die Erwerbsarbeit ergab sich fast zwangsläufig durch den enormen wirtschaftlichen Druck infolge der Umstellung auf biologischen Anbau. Aber anders als noch ihre Schwiegermutter, schaffte Irene sich einen eigenständigen Arbeitsbereich, wuchs über die Rolle der Springerin und Gelegenheitsarbeiterin hinaus. „Aber eigenständige Arbeit bedeutet nicht mehr Rechte“, umreißt sie ihre heutige Situation.

Was sie tut, ist überlebenswichtig für den Hof, aber zu bestimmen hat Rudolf. „Im Dorf sind immer noch Männer die heiligen Kühe“, sagt sie resignierend. Den eigenen Beruf

nicht aufgeben

Einen anderen Weg versucht Gudrun Geue, die mit dreijährigem Kind und Ehemann Christian sowie Schwiegermutter auf einem Pachthof in der Nähe von Hamm/Westfalen wohnt. Um nichts in der Welt will sie ihren Beruf als Erzieherin in einem Jugendheim aufgeben. Noch macht das keine Probleme. Ihr Verdienst ist ein willkommenes Zubrot auf dem nicht unbedingt ertragreichen Hof. Seit 1984 erst wirtschaften Geues nach biologisch-organischen Richtlinien. Finanziell sind sie damit noch nicht aus dem Gröbsten raus.

Gudruns Zugeständnis an ihren alleinwirtschaftenden Mann: Sie betreut die jungen Kälber und hat die Verwaltungsarbeit übernommen. Haushalt und Kind fallen in das Ressort von Christians Mutter. Ansonsten hält sich Gudrun aus dem Bauernkram raus. „Mein Interesse liegt woanders. Außerdem habe ich studiert, warum soll das umsonst gewesen sein?“ beschreibt sie ihre Lage. Ihre Sicht der Dinge beißt sich erheblich mit dem rigorosen Standpunkt des fundamentalistischen Biobauern Christian. Für den ist Landwirtschaft in der von ihm betriebenen Form die einzige „nicht entfremdete Art zu leben“.

Gudrun Geue sieht das auf ihre Person bezogen anders. Ihr Beruf gibt ihr Identität, markiert den Mittelpunkt. Den Standpunkt von Christian erkennt sie an - als seinen. Wenn sich die beiden mal sehen, was bei der extremen Arbeitszeit selten genug vorkommt, dann treffen sie sich meist im Stall. „Bei den Viechern, da laufen auch schon mal Szenen einer Ehe ab“, erzählt Gudrun lachend.

Ihre Arbeit verschafft Gudrun eine eigene soziale Absicherung. Damit hat sie vielen Bäuerinnen etwas Unabhängiges voraus. Denn obwohl Frauen als Arbeitskräfte auf den Höfen unentbehrlich sind, steht es mies um ihre soziale Absicherung. Die Renten in der Landwirtschaft gehören ohnehin zu den mickrigsten in der Republik. Die Landfrauen rutschen noch eins tiefer in den sozialen Keller. Sie laufen durchweg als „Mitversicherte“ in der Rentenversicherung des Mannes und Betriebsleiters. Stirbt der Mann, bleiben der Witwe schmale 30 Prozent des Jahresarbeitsverdienstes als Rente. Ein Bauer kassiert bei Berufsunfähigkeit immerhin noch 66 Prozent. Der Hintergrund für die dürftige Altersversorgung: Ob Biohof oder nicht, auf dem Land gilt die Altenteilregelung. Das heißt, „die Alten“ wohnen weiter auf dem Hof und werden von dort versorgt. Für Frauen ist die Abhängigkeit doppelt, zunächst vom eigenen Mann, dann vom aktuellen Betriebsleiter. Diese zähe Struktur haben auch Biobauern und -bäuerinnen noch nicht geknackt. Die Alternative für eine eigenständige Rentenversicherung geht ins Geld: Bäuerinnen müßten sich freiwillig versichern, zum gleichen Beitrag wie ihr Mann. Das kann sich kaum eine leisten. Mit Grundbuch und Meisterarbeit

Einen Schritt weiter in ein emanzipiertes Landleben ist Ulrike Ostendorf aus Bergkamen bei Dortmund. Durch einen Zusatzvertrag mit ihrem Mann Friedrich steht sie als Miteigentümerin des Hofes im Grundbuch. Auch ihr Status entspricht dem des Ehegatten: Beide fungieren als Betriebsleiter.

Beide haben eine abgeschlossene Ausbildung als Landwirtschaftsmeister. Ulrikes Meisterarbeit schaffte die theoretische Basis für die Umstellung zum Biohof. Sie war die treibende Kraft bei der Umsetzung der Ausarbeitungen in die Praxis. Ein Leitspruch Ulrikes steht in großen Lettern am Scheunenbalken: Bleibt auf dem Lande und wehret euch täglich!

Die „grüne Front“ verläuft in einem Dreieck, fanden die Dortmunder StudentInnen heraus. Die Eckpositionen markieren Ulrike (die auch formal gleichberechtigte), Gudrun (die sich aus dem Bauernleben so weit wie möglich heraushält) und Irene (die sich eine nicht akzeptierte und trotzdem anerkannte Machtstellung geschaffen hat). Was alle verbindet: ein Zehn-Stunden-Tag und kaum Zeit für eigene, persönliche Belange. Eine Umgebung, in der Tradition und Konservatives dominieren. Landfrauenvereine sind nicht das Forum für Ökobäuerinnen. Weiterbildung findet innerhalb der Szene statt, irgendwo, kilometerweit entfernt. Das wahrzunehmen heißt, die spärliche Freizeit weiter zu verknappen. Alltagsleben: lieber an den nächsten Urlaub denken (der letzte war vor vier Jahren) als an Emanzipationsprobleme. Wie sagte Gudrun Geue so treffend: „Selbst wenn es eine stärkere Frauenbewegung in der Ökoszene auf dem Land gäbe, ich hätte nach zwölf Stunden Arbeit keinen Bock mehr auf solche Extras.“

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