: Mut zur Feigheit
Zur Diskussion um Denkmäler für Deserteure ■ K O M M E N T A R E
Was in der Vergangenheit schon in einigen Orten der Bundesrepublik die militaristischen Gemüter erhitzte, das sorgt derzeit in und um Ulm für Aufregung: ein Deserteur -Denkmal, das eine Initiative auf städtischem Gelände am Donau-Ufer aufgestellt hat. Die Stahlplastik, an der eine Bronzetafel mit einem Tucholsky-Zitat befestigt ist - „Hier ruht ein Mann, der sich geweigert hat, auf seine Mitmenschen zu schießen. Ehre seinem Andenken“ -, soll wieder verschwinden. Ulms Oberbürgermeister Ludwig gab am Wochenende der Initiative eine Woche Zeit, das Mahnmal zu beseitigen, ansonsten werde die Stadt eingreifen - im Kunst und Kulturausschuß der Stadt hatte eine Mehrheit von CDU und Freien Wählern übereinstimmend befunden, daß Deserteure grundsätzlich nicht „denkmalwürdig“ seien. Das Denkmal, so die schwäbischen Kunstrichter, sei gegen die Bundeswehr gerichtet und untergrabe den „Wehrwillen“.
Man könnte diesen Fall als dumpf-deutsches Provinzspießertum abtun - zweimal in 70 Jahren die halbe Welt in Asche gelegt, nichts dazugelernt und außer Daimler und Spätzle nichts im Kopf -, wären nicht in jüngster Zeit von Kiel bis München die Initiativen zur Ehrung von Wehrmacht-Flüchtigen mit dem immergleichen Argument torpediert worden: daß Deserteure nicht „denkmalwürdig“ seien. Und hätte es nicht vor kurzem einen 'Zeit'-Leitartikel gegeben, in dem die Gräfin Dönhoff derart wehrwütigen Schwabenstreichen und Denkmalstürmereien den quasi höchstkulturrichterlichen Segen erteilte: Ein Denkmal für den unbekannten Deserteur wäre unsinnig, denn, so die Gräfin, erstens sei er „unbekannt“, und zweitens sei es ja ungewiß, ob er nicht einfach aus Angst weggelaufen sei. Hinzuzufügen ist dieser ekelerregenden Herrenreiter -These nur eines: Lieber lösen wir noch einmal einen Weltkrieg aus, als daß auf deutschem Boden einem feigen Schisser ein Denkmal gesetzt wird.
Die deutsche Wehrmacht war die terroristischste Vereinigung der Weltgeschichte, und dieser Mord-Bande den Rücken zu kehren - aus welchen Gründen auch immer -, war 1.000mal mutiger als jede kadavergehorsame „Tapferkeit vor dem Feind“. Und wenn es einen gab, der in dieser Situation nach dem kategorischen Imperativ gehandelt hat, dann war es nicht der Landser mit seinem feigen Mut, sondern der Deserteur mit seinem Mut zur Feigheit, mit seiner Angst, die ihn zum Fortschritt trieb. Daß es heute nicht möglich ist, an diesen Mut (und an die Tausenden, die dafür von den Filbingers zum Tode verurteilt wurden) öffentlich zu erinnern, zeigt, wie wenig wir uns in vierzig Jahren Bundesrepublik vom soldatischen Rückschritt in die Barbarei entfernt haben.
Mathias Bröckers
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