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Dynamik verunsichert USA

Die Worte des stellvertretenden US-Außenministers Lawrence Eagleburger klangen, als sei er über die jüngsten Entwicklungen in Osteuropa alles andere als erfreut. Mit dem Ende der globalen Dominanz der Supermächte USA und UdSSR über die Weltpolitik sei man nun wieder an einem Punkt angekommen, an dem Macht und Einfluß auf viele Staaten verteilt seien. „Diese multipolare Welt ist nicht unbedingt ein sichererer Platz als die vom kalten Krieg geprägte. Bei allen Risiken und Unsicherheiten war der kalte Krieg eine Ära, die von bemerkenswert stabilen und vorhersehbaren Beziehungen zwischen den Großmächten charakterisiert war“, sagte Eagleburger in einer Rede an der Washingtoner Universität. Die Ereignisse in Polen, Ungarn, den baltischen Staaten und der Sowjetunion haben den schwerfälligen Apparat der US-Außenpolitik unvorbereitet getroffen: Schon hört man Warnungen, daß die Reformkräfte in der Sowjetunion womöglich zu weit gehen und eine gefährliche Dynamik in Gang setzen könnten.

Genauso unerwartet kam für Washington der Flüchtlingsstrom aus der DDR in den Westen, der in Europa die „deutsche Frage“ mit Vehemenz auf die Tagesordnung gesetzt hat. Eagleburgers programmatische Rede machte nur zu klar, wie kurz die Reichweite der US-amerikanischen Phantasie ist, wenn es um die zukünftige Ordnung Europas geht. Die USA und Westeuropa „müssen eine Politik entwerfen, die unseren Interessen dient, unabhängig davon, ob Gorbatschow steht oder fällt. Unser gemeinsames Ziel sollte sein, den Sicherheitskonsens zu bewahren, der dem Westen in den letzten 40 Jahren so gut gedient hat, bis der demokratische Reformprozeß im Ostblock eindeutig irreversibel geworden ist.“

Unter dieser Prämisse sind auch die Äußerungen des US -Botschafters Vernon Walters zu verstehen, der Anfang des Monats eine Wiedervereinigung Deutschlands „auf friedlichem Wege und durch freie Wahlen“ für wünschenswert bezeichnete. Niemand kann sich jedoch eine Abstimmung über eine Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten vorstellen, solange die Bundesrepublik fest im westlichen Bündnis verankert ist. Doch genauso offensichtlich ist, daß in der DDR ein politischer Prozeß in Gang gekommen ist, der die Legitimität der DDR in Frage stellt, der gleichzeitig aber auch, so der 'Washington Post'-Kolumnist Jim Hoagland, die bislang praktizierte Ostpolitik Bonns als „von den Ereignissen überholt“ erscheinen läßt.

Dies ist ein politisches Dilemma von der Sorte, wie man sie in Washington am wenigsten mag. Es zwingt die USA, Farbe zu bekennen, wo sie gegenwärtig keine bekennen mag, und es könnte erforderlich machen, daß man eine fest verankerte ideologische Position einer komplizierten Überprüfung unterziehen und womöglich ändern muß. Gleichzeitig hat Washington praktisch keine Einflußmöglichkeiten auf die Entwicklung in der DDR. Vorsicht erscheint ausnahmsweise als die sinnvollste Option dieser ohnehin vorsichtigen Administration. So zögerlich sind Bushs Strategen gegenüber den Reformern in Polen und der Sowjetunion, daß der demokratische Senatsführer George Mitchell Anfang der Woche bitter klagte, die Administration leide offenbar unter „Nostalgie nach dem kalten Krieg“.

Stefan Schaaf, Washington

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