: Bundeswehr als Friedenstruppe?
Genscher erklärt sich für den Einsatz der Bundeswehr bei UNO-Friedensmissionen ■ K O M M E N T A R E
Sollen bundesdeutsche und dann wahrscheinlich auch DDR -deutsche Truppen unter dem Kommando der UNO an sogenannten Friedensmissionen teilnehmen? Oder verbietet die jüngere deutsche Geschichte einen solchen Einsatz nicht von selbst? Die Frage ist nicht neu, wird vielmehr von unterschiedlichster Seite und mit unterschiedlichster Motivation immer wieder in die Diskussion gebracht und scheint nun vor einer baldigen Entscheidung zu stehen. Mit Genscher hat sich nun erstmals der bundesdeutsche Außenminister eindeutig festgelegt: Angesichts der gewachsenen außenpolitischen Bedeutung der BRD und der gestiegenen Verantwortung der Deutschen innerhalb der UNO sei eine Bundeswehrbeteiligung bei UNO-Missionen jetzt angebracht. Allerdings bedürfe dies einer Änderung des Grundgesetzes, für die Genscher auch eine Mehrheit im Bundestag sieht.
Bislang hörte sich das bei Genscher ganz anders an: Da das Grundgesetz einen Einsatz der Bundeswehr außerhalb der Nato -Staaten verbiete, sei die Beteiligung an UNO-Truppen indiskutabel. Diese Position wurde im Bundessicherheitsrat im November 1982, kurz nach Amtsantritt der CDU/CSU/FDP -Koalition, noch einmal bestätigt und galt seitdem als offizielle Linie der Bundesregierung. Zufrieden waren Teile aus CDU/CSU damit ganz und gar nicht. Für die Wende -Politiker, die das deutsche Büßergewand nun endlich ausziehen wollten, war und ist die Selbstbeschränkung der Bundeswehr als indirektes Schuldeingeständnis der Brandstifter zweier Weltkriege ein andauerndes Ärgernis, für dessen Beseitigung jedes Mittel recht ist - zur Not auch ein Bundeswehreinsatz in Mittelamerika auf Wunsch der Sandinisten.
Ansatzpunkt zur Durchsetzung der internationalen Rehabilitierung deutscher Truppen war für die Deutschnationalen die sukzessive Uminterpretation des Grundgesetzes. Denn, so wurde immer penetranter gefragt, wo beginnt und wo endet eigentlich der grundgesetzliche Verteidigungsauftrag? Warum sollte ein Einsatz der Bundesmarine am Golf, wie von den USA lange verlangt, nicht genau diesem Auftrag entsprechen? Schließlich sei die Sicherung der Ölzufuhr ein existentielles deutsches Interesse, dem das Grundgesetz keinesfalls entgegenstünde. Der damalige Kompromiß ist bekannt: Die Bundesmarine kam nicht in den Golf, sondern wurde zur Entlastung der 6. US -Flotte ins Mittelmeer geschickt. Dort ist sie noch heute.
Da der direkte Einsatz von Bundeswehrtruppen außerhalb des Nato-Gebietes nicht so leicht zu erreichen war, verlagerte sich die Diskussion auf den Einsatz im Rahmen der UNO -Friedenstruppe. Damit wurde sie vollends unübersichtlich, denn plötzlich trat ein Teil der SPD-Linken auf den Plan und setzte sich just für diese Überlegungen vehement ein. Man darf wohl unterstellen, daß es Gansel, Voigt und Bahr im Gegensatz zur CDU-Rechten nicht um die Renaissance imperialer Machtgelüste geht - doch die Vorstellung der UNO als real existierende internationale Friedensstreitmacht, an der die Deutschen nicht trotz, sondern gerade wegen ihrer Geschichte teilnehmen müssen, erscheint doch allzu naiv.
Tatsächlich geht es wohl noch um etwas anderes: Die Bundeswehr im UNO-Kontingent soll ein Zeichen setzen für die Emanzipation der BRD gegen die Nato-Vormacht USA. An diesem Punkt trifft sich die SPD-Linke auf höchst fatale Weise mit der CDU-Rechten. So marginal dieser Berührungspunkt auf den ersten Blick sein mag: entscheidend ist der Zeitpunkt und der Zeitgeist, der dahinter steht. Wie auch in der Auseinandersetzung um die Kurzstreckenraketen geht es um die deutschen Interessen und die zukünftige bundesdeutsche Rolle nach Jalta. Seit der Ostblock erodiert, scharren die bundesdeutschen Außen- und Militärpolitiker ungeduldig in den Startlöchern. Wie edel sich die Begründungen auch im einzelnen anhören mögen: de facto geht es um Machtzuwachs unter Einsatz auch militärischer Potenz.
Jürgen Gottschlich
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