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Katharsis-Politiker in Athen ermordet

Pavlos Bakojannis war Abgeordneter und Sprecher der regierenden konservativen Nea Demokratia / Die „Revolutionäre Organisation 17. November“ bekennt sich zu dem Attentat / Das Opfer wird als „Hauptverantwortlicher des Koskotas-Skandals“ bezeichnet  ■  Aus Athen Robert Stadler

Der konservative griechische Abgeordnete und Sprecher der Nea Demokratia, Pavlos Bakojannis, ist gestern morgen in Athen auf offener Straße erschossen worden. Die drei Täter konnten anschließend mit einem Auto flüchten. Am Tatort hinterließen sie ein 12seitiges Manifest, worin sich die „Revolutionäre Organisation 17. November“ zu dem Attentat bekennt und den Politiker als „Hauptverantwortlichen für den Koskotas-Skandal“ bezeichnet.

Der Anschlag auf Bakojannis wird in Zusammenhang gebracht mit der Parlamentsdebatte über den Koskotas-Skandal, die nur wenige Stunden später begann. Dabei wurde der Bericht des Untersuchungsausschusses über die Verwicklungen von Ex -Regierungschef Andreas Papandreou und vier weiteren Pasok -Ministern in den „Betrug des Jahrhunderts“ vorgelegt. In der für zwei Tage geplanten Debatte muß das Parlament entscheiden, ob die Pasok-Politiker sich vor einem Sondergericht verantworten müssen.

Bakojannis, Schwiegersohn des Parteivorsitzenden der Nea Demokratia Konstantinos Mitsotakis, wurde eine besonders enge Beziehung zu dem Ex-Bankier Giorgios Koskotas nachgesagt, dessen Mitarbeiter er bis vor einigen Jahren war. Als Koskotas 1982 auf dem griechischen Printmediensektor aktiv wurde, beteiligte sich Bakojannis an der Gründung der Zeitschrift 'Ena‘ und wurde deren erster Direktor. 1985 verlor er - nach eigenen Angaben aus „politischen Gründen“ - den Posten. Der inzwischen in den USA im Gefängnis sitzende Koskotas behauptet, Ex-Premier Papandreou habe Bakojannis Entlassung verlangt. Bereits im Mai 1989 lagen den Behörden Hinweise vor, daß der 54jährige Bakojannis auf der schwarzen Liste des „17. November“ stehe. Der Journalist Bakojannis war während der 60er und 70er Jahre Mitarbeiter des Bayerischen Rundfunks. Nach dem Ende der Militärdiktatur kehrte er nach Griechenland zurück. Im Juni 1989 war er für die Nea Demokratia in das Parlament gewählt worden.

Mit dem gestrigen Anschlag richtete sich die Organsiation benannt nach dem Datum der Studentenerhebung gegen die Militärjunta im Jahr 1973 - zum zweiten Mal in diesem Jahr gegen einen Politiker. Der ehemalige Pasok-Minister Giorgos Petsos war im Mai nur knapp dem Tod entgangen. Der Mord an Bakojannis ist der 21. Anschlag des „17. November“, der Weihnachten 1975 mit der „Exekution“ des CIA-Mannes Richard Wells zum ersten Mal in Erscheinung trat. Das anfängliche Bild des „17. November“ in der griechischen Öffentlichkeit als reine Mörderbande, wandelte sich später, als die Organisation unter anderem 1976 den bekannten Folterer aus der Militärdiktatur, Evangelos Mallios, ermordete. Die bei allen Anschlägen den Medien zugespielten Manifeste mit polit -ökonomischen Analysen werden nach einer Umfrage von 41 Prozent der Griechen gelesen. Bisher wurde kein Mitglied des „17. Novembers“ gefaßt. Das ist auch der Grund, weshalb die langjährige Regierungspartei Pasok in den Verdacht geriet, sie unterhielte Kontakte zu der Organisation.

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